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STUDIO! Ausgabe 3/2023

Im Interview: Thea Ehre – „Ein Trans-Jedermann? Warum nicht!“

Die junge Trans-Schauspielerin Thea Ehre ist der Shooting-Star des österreichischen Films: Auf der Berlinale wurde die Newcomerin für ihre Rolle in Christoph Hochhäuslers Thriller »Bis ans Ende der Nacht« gefeiert. Zu Recht. Denn ihr kämpferischer Blick und ihr Lächeln leuchten aus jedem Film heraus.

Interview: Maya McKechneay

Frau Ehre, Sie wurden heuer auf der Berlinale überraschend mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet – mit 23 Jahren. In diesem Alter studieren andere noch …

Thea Ehre: … und ich auch: Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien, um einen theoretischen Background zu haben. Allerdings pausiere ich gerade.

Weil Ihre Schauspiel-Karriere Fahrt aufnimmt. Erzählen Sie uns, wie alles anfing?

Ehre: Aufgewachsen bin ich in Wels. Schon als Kinder haben mein Cousin und ich uns dort Geschichten ausgedacht und mit dem Camcorder verfilmt – wir waren Darsteller, Regie, haben es einfach nur lustig gehabt. An meinem Welser Gymnasium gab es einen Zweig mit Tanzschwerpunkt und einen Jugendtheaterclub. Bei den Aufführungen habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, etwas auf der Bühne zu erzählen. Mit 18 bin ich nach Wien gezogen, um Schauspielerin zu werden. Ich dachte: Wenn man etwas wirklich will und das auch ausstrahlt, wird es auch was.

Sie sagen »Schauspielerin«, aber Ihre ersten Rollen haben Sie ja noch unter Ihrem männlichen Geburtsnamen gespielt.

Ehre: Ja. Aber in der neuen Wiener Umgebung habe ich gemerkt, wie falsch es sich anfühlte, mich mit diesem Vornamen vorzustellen, der mich unglücklich gemacht hat. Zu dieser Zeit habe ich mit einen Eltern eine Wanderung unternommen und ihnen gesagt: »Es ist jetzt so weit: Ich werde als Frau leben.« Meine Eltern haben sich gefreut.

Vor dieser Zeit lag wahrscheinlich bereits Ihr Coming-out?

Ehre: Das Coming-out war nie ein großes Ding für Freunde und Familie, den meisten war das schon immer klar.

© Irene Schaur

War der Umzug nach Wien auch ein Befreiungsschlag? In größeren Städten trifft man im Allgemeinen auf mehr Toleranz.

Ehre: Wenn man in einer kleinen Stadt aufwächst, denkt man tatsächlich eher, dass man gewissen Normen entsprechen muss. Ich kannte damals keine anderen Trans-Frauen und wenige queere Menschen. Das schränkt das eigene Denken ein. Ich wusste nur: Bei mir ist etwas anders.

Wie ging es Ihnen damals?

Ehre: Ich hatte ganz viele Fragen an mich und an die Welt. Indem ich Filme gesehen und mit Menschen gesprochen habe, konnten sich diese Fragen konkretisieren. Ich habe mich Stück für Stück verstanden gefühlt. Ich habe Räume in mir entdeckt, die schon immer da waren – nur haben mir dafür die Schlüssel gefehlt.

Wie haben Sie Ihren Namen, Thea Ehre, gefunden?

Ehre: In der Theaterwissenschaft stieß ich auf das Wort Thea, was auf Griechisch »Göttin« bedeutet. Ich habe immer so mit meinem Körper gekämpft. Und da ist in meinem Kopf dieses kitschige Zitat aufgeploppt: »My body is a temple«. Ich fand es ironisch und iconic, mich Thea zu nennen und in diesem Tempel erst recht als »Göttin« zu regieren. Meinen Nachnamen habe ich dann abgekürzt, weil er eh ständig falsch geschrieben wurde (lacht) – im Nachhinein denke ich manchmal, »Thea Ehre« klingt überheblich, aber so ist es überhaupt nicht gemeint!

Wie kamen Sie dann zu Ihren ersten Rollen in Wien?

Ehre: Eine erste, wahnsinnig kleine Rolle hatte ich in der Serie »Vorstadtweiber«. Eigentlich ein Statistinnen-Job, aber am Set von Regisseurin Miriam Unger habe ich viel gesehen, gelernt und richtig Blut geleckt. Parallel habe ich mit Bekannten von der Filmakademie Kurzfilme gedreht. Dann kam die Anfrage für die Amazon-Serie »Luden«.

In der Sie als Transsexueller im Rotlichtmilieu der 1970er-Jahre besetzt sind – auch ein Mini-Auftritt, aber schon hier zeigen Sie eine unglaubliche Leinwandpräsenz!

Ehre: Danke. Dieser Auftritt war ein Schlüsselmoment für andere Rollen. Es war das erste Mal, dass ich auf so einem großen Filmset war, mit einer Sprechrolle. Danach kam ganz schnell das Casting für den Hochhäusler-Film.

© Berlinale/Alexander Janetzk

In »Bis ans Ende der Nacht« geht es um eine Trans-Frau, die vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird, weil die Polizei sie als Lockvogel braucht. Bei der Ermittlung arbeitet sie mit ihrem Ex-Freund zusammen, der sie geliebt hat, als sie noch ein Mann war, und jetzt nicht mit seinen Gefühlen klarkommt. Eine komplexe Konstellation.

Ehre: Ich habe das Drehbuch gelesen und bin nach Berlin geflogen, um Regisseur Christoph Hochhäusler und Casterin Ulrike Müller zu treffen. Der Regisseur war von Anfang an sehr interessiert daran, was ich von der Figur halte – obwohl das Team natürlich eine Trans-Beratung beim Schreiben hatte. Ein paar Wochen später hat er mich angerufen und zugesagt.

Ein Wagnis, denn Sie hatten kaum Schauspielerfahrung.

Ehre: Ja! Nach der Zusage war ich ganz außer mir und habe mir einen Schauspielcoach genommen. Schon drei Monate vor Drehbeginn habe ich begonnen, mich in die Rolle einzufühlen. Zwischendurch habe ich Christoph immer wieder angerufen und gefragt: Warum verhält sich Leni in einer Szene so oder so? Meine Einwände und Fragen nahm er immer ernst.

© Filmgarten

»Bis ans Ende der Nacht« ist ein moderner Film noir, der viele Spiegelungen und Täuschungen enthält. Ihre Figur, Leni, spielt der Welt als verdeckte Ermittlerin eine Rolle vor, sie lügt, sie täuscht. Auf anderer Ebene – nämlich als Frau – scheint sie dagegen ganz bei sich. Was mochten Sie persönlich an Leni?

Ehre: Ihre große Hoffnung und Sehnsucht und die positive Energie, die sie trotz ihrer Vergangenheit ausstrahlt. Der Dreh war die bisher aufregendste Zeit in meinem ganzen Leben …

… die mit der Berlinale einen krönenden Abschluss fand. Wie war das, als Sie erfahren haben, dass man Ihnen den Silbernen Bären überreicht?

Ehre: Meine Eltern waren auch in Berlin, mit ihnen habe ich den Tag verbracht. Gemeinsam sind wir rein ins Kino, ich wurde interviewt, ob ich glaube, dass ich den Preis bekomme. Und ich habe gesagt: Nein! Als es dann passiert ist – da ist mir alles runtergefallen. Ich habe es ja wirklich erst bei der Preisverleihung im Saal erfahren. Dann stellte sich ganz schnell eine riesengroße Dankbarkeit ein. Ich war ganz in mich gekehrt. Leute haben mich gefragt, ob es mir gut geht. Ja! Denn ich wurde für das ausgezeichnet, was mir im Leben am meisten am Herzen liegt.

Wie ging es weiter in Berlin?

Ehre: Den Interviewtrubel kannte ich so nicht. Du sitzt bei der Preisverleihung und gehst direkt von dort rüber in einen anderen Raum, bist plötzlich live im Fernsehen. In Wahrheit wollte ich natürlich erst mal meine Eltern umarmen! Aber ich habe mich darauf eingelassen, und es war schön.

Sie wurden dann von den Medien schnell als Trans-Botschafterin gesehen – viele Fragen drehten sich um ihre Trans-Identität. Wie war das für Sie?

Ehre: Ich hatte richtig Lust darauf, darüber zu sprechen, eine Stimme zu sein und Statements abzugeben, was Repräsentation und Sichtbarkeit angeht. Viele Trans-Menschen stecken in prekären  Situationen oder leben in einem toxischen Umfeld – wie meine Figur im Film. Ich selbst bin privat ja privilegiert.

»Privilegiert« – wie meinen Sie das?

Ehre: Ich hab’ tolle Freunde, lebe in einem Land, wo es mir gut geht, hab’ eine tolle Familie. Das möchte ich immer wieder betonen.

Nach dem Preis hat es vermutlich Rollenangebote geregnet. Waren das vorwiegend Trans-Rollen oder auch klassische Cis-Frauenrollen?

Ehre: Gemischt. Trans-Rollen, Hauptrollen genauso wie Nebenrollen. Und ja, es waren auch Cis-Frauen dabei. Ich denke mir immer, ob jetzt Cis oder Trans, am Ende des Tages möchte ich spannende Figuren verkörpern!

Eine Nachfrage dazu, hoffentlich nicht zu persönlich: Sie haben Ihre Karriere als Frau gestartet. Trotz allem schlägt einem, wenn man Sie googelt, die Autovervollständigung vor: »Thea Ehre damals und heute«. Scheinbar gibt es eine große Neugier, Sie als Bub oder jungen Mann zu sehen. Wie geht es Ihnen damit?

Ehre: Ich würde das selber nie machen bei einer anderen Trans-Person! Man sollte uns akzeptieren, wie wir sind. Ein Mensch ist, was er ist – was er früher war, ändert doch nichts daran. Das Gute ist, dass von mir gar nicht so viele Jugendbilder existieren. Und wenn doch was im Internet auftaucht, muss ich es akzeptieren.

Wie geht es Ihnen sonst mit der Öffentlichkeit?

Ehre: Im Internet sind die Leute anonym und trauen sich alles Mögliche – ich habe einmal ins »Standard«-Forum geschaut, weil ich gespannt war, was die Leute zu dem Film sagen, und musste feststellen, es ging in der Hauptsache darum, wie männlich ich ausschaue. Klar, das verletzt.

Ist Berlin – wo Sie zeitweise leben und arbeiten – in dieser Hinsicht entspannter?

Ehre: Ach, Wien ist auf jeden Fall toll! Hier habe ich auf Anhieb andere queere Menschen kennengelernt oder solche, für die das superselbstverständlich ist. Es gibt viele Safe Spaces. Ich fühle mich wohl. Mit dem Gedanken, dauerhaft nach Berlin zu ziehen, spiele ich derzeit nicht.

Sprechen wir abschließend noch über Traumrollen: Angelina Jolie wurde einmal eine Rolle als Bondgirl angeboten und sie hat geantwortet: »Ich wäre lieber Bond!« Wären Sie gerne ein weiblicher Bond, oder gibt es sonst eine Mainstreamrolle, in der Sie sich sehen?

Ehre: Also, wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne mit Regisseur Luca Guadagnino drehen. »Call Me by Your Name« (romantisches Drama von 2017, Anm.) war der erste queere Film, den ich je im Kino gesehen habe, und er hat mich sehr inspiriert. Ich möchte meine Spielfreude behalten, mit kreativen Köpfen arbeiten und – ohne dass ich mir solche Riesenrollen im Moment anmaßen möchte: Vielleicht ist James Bond einmal trans, das wäre toll. Hoffentlich wird bald auch in Österreich eine klassische Rolle anders besetzt – der Jedermann vielleicht? Ja – warum eigentlich nicht!

Cover der 3. STUDIO! Magazin-Ausgabe