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STUDIO! Ausgabe 3/2023

Coverstory: Nachhaltige Stadt der Zukunft

Vier Expertinnen haben wir gefragt, wie sie aussehen könnte – die nachhaltige Stadt der Zukunft. Denn dass in den Bereichen Immobilien, Bauwirtschaft, Tourismus und Mobilität noch Luft nach oben ist, wissen wir alle. Bloß: Wie kommen wir da hin?

Text: Maya McKechneay

Wien hat viele Jahre viel gut gemacht und profitiert auch von seinen naturgegebenen Vorteilen: Die geografische Lage zwischen Donau und Wienerwald sorgt für frische Luft und Kühlung, und der soziale Wohnbau hat eine lange Tradition«, erklärt die Evolutionsbiologin und Stadtforscherin Elisabeth Oberzaucher. Nicht umsonst belegt Wien in weltweiten Rankings immer wieder Platz 1 der lebenswertesten Städte. »Diese Stadt ist wahnsinnig schön, sie hat eine toll erhaltene historische Substanz – vieles spricht für ein Leben hier. Aber das ist nichts, worauf man sich ausruhen kann, sonst geht es schnell bergab.«

Wiener Wachstum – gut so

Wien ist die derzeit am schnellsten wachsende deutschsprachige Großstadt und wird demnächst die 2-Millionen-Marke knacken. Der Bevölkerungszuwachs im Jahr 2022 betrug laut Statistik Austria 50.800 Menschen – ein neuer Höhepunkt. Nach Wien ziehen pro Jahr so viele Menschen, wie in Österreichs zehntgrößter Stadt, Dornbirn, leben.

© Gettyimages/Andriy Onufriyenko

Klingt krass. Doch aus Perspektive der Nachhaltigkeit sei es zu begrüßen, wenn Menschen sich in einer Stadt sammeln, sagt Oberzaucher. »Wer in der Innenstadt lebt, leistet an sich schon einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Denn in der Stadt können viele Dinge in zehn Minuten Gehdistanz erledigt werden. Im Speckgürtel muss man dagegen meist ins Auto steigen, um ein Einkaufszentrum zu erreichen.« Zur Mobilitätsfrage komme noch die Flächenversiegelung: »Wer in einem Einfamilienhaus am Land lebt, hat einen massiv größeren ökologischen Fußabdruck als jemand, der in der Stadt wohnt – je mehr Quadratmeter man für sich beansprucht, desto mehr belastet man diesen Planeten.«

Stadtleben ist nachhaltiger

Gute Nachrichten also für StädterInnen: Der »Homo urbanus« (so der Titel von Oberzauchers Sachbuch zur lebenswerten Stadt) macht an sich schon viel richtig. Doch neue BewohnerInnen brauchen neuen Wohnraum – und auch der will nach ökologischen Aspekten gestaltet sein.

 

 

© Ingo Pertramer

Hier kommt Anna-Vera Deinhammer mit ihrer Expertise ins Spiel. Seit 1. Juni 2023 ist die promovierte Integralingenieurwissenschaftlerin und Architektin Stiftungsprofessorin für nachhaltige Immobilienwirtschaft an der FHWien der WKW. »Mich interessiert der institutionelle Rahmen und wie dieser beschaffen sein muss, damit wirklich nachhaltig gebaut werden kann«, sagt Deinhammer, die in ihre neue Rolle langjährige Erfahrung in der städtischen Verwaltung sowie der privaten Bauwirtschaft einbringt. »Wir sollten uns von einer Verbotsgesetzgebung hin zu einer unterstützenden Gesetzgebung entwickeln.«

Grüner Bau – wie finanzieren?

Nachhaltig zu bauen sei zunächst teurer, wenn man nicht den gesamten Lebenszyklus berücksichtige. »Darum werden wir Prozessinnovationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Verbindung mit weiterentwickelten Förderprogrammen brauchen«, sagt Deinhammer. »Eine Immobilie sollte von Anfang an so entwickelt, geplant und betrieben werden, dass ihre Nachhaltigkeitsanforderung einer zukünftigen Wertsicherung entsprechen kann.« Wesentlich würden in Zukunft zudem technische Entwicklungen wie der Umgang mit Komposit-Materialien: »Wer baut, muss sich heute fragen: Wie kann ich sicherstellen, dass das Neubau- oder Sanierungsprojekt der EU-Taxonomie-Verordnung entspricht? (siehe Infobox, Anm.). Wir müssen die Finanzwelt mit dem Ingenieurswesen an einen Tisch bringen. Schließlich war es schon immer so: Wir in der Bau- und Immobilienbranche sind die Dompteure der Komplexität«, sagt Deinhammer – und lacht.

© Wirth

Übrigens sieht auch sie, wie Oberzaucher, die Stadt Wien mit ihrer historischen Bausubstanz im Vorteil. Schließlich seien Gebäude mit hoher Lebensdauer per se nachhaltig: »Man sollte auch moderne Gebäude so entwerfen, dass man sie so lang wie möglich nutzen kann.« Vor einigen Jahren erhob sie aus Interesse das durchschnittliche Alter der Häuser, die in Wien abgerissen werden sollen. »Ich bin auf 45 Jahre gekommen. Das ist zu wenig. Wir sollten immer einen Lebenszyklus von mindestens 100 Jahren annehmen!«, sagt Deinhammer und ergänzt: »Das hat auch mit dem Gesicht einer Stadt zu tun. Mit unserer Umwelt bauen wir immer auch Identität. Die ist für uns alle unglaublich wichtig.«

Kreislaufwirtschaft: »Alter Wein in neuen Schläuchen«

Ist es nicht gegen die Interessen der Bauwirtschaft, wenn ein Gebäude so lange hält? »Einige Bauprodukte-Hersteller denken vielleicht noch so«, sagt Deinhammer. »Im Sinn von: Wir produzieren, entsorgen, produzieren wieder neu. Wenn wir aber den unglaublichen Gebäudebestand in Wien sanieren, haben wir ähnlich viele Möglichkeiten.« Die Sanierung des Altbestands sei aus verschiedenen Blickwinkeln nachhaltig. Zum einen werde dabei in der Regel nachträglich gedämmt: »Und durch Dämmung kann man wesentliche Energie einsparen – schließlich werden 40 Prozent des globalen Carbon Footprints durch Immobilien verursacht.«

Und bei Bau und Sanierung zukünftige Kreislaufwirtschaft gleich mitzudenken, sei klug: »Soll ein Parkett zukünftig nicht einfach weggeworfen werden, dann muss es so verlegt werden, dass man es rückstandslos ausbauen und wiederverwenden kann. Dafür brauche ich Handwerk. Und ArchitektInnen, die das mitdenken – schon beim Entwurf! Natürlich ist es aufwändiger, den Boden handwerklich zu verlegen, als ihn zu verkleben. Aber auf die lange Sicht zahlt es sich aus.« Hier könne man im Übrigen aus der Vergangenheit lernen. Früher habe Baumaterial wie Ziegel, Holz oder Glas einen viel höheren Wert gehabt und sei schon deshalb recycelt worden. Denn, so Deinhammer: »Kreislaufwirtschaft ist alter Wein in neuen Schläuchen.«

Ökosensibler Tourismus

BewohnerInnen, aber auch BesucherInnen der Stadt Wien ist meist nicht bewusst, dass viele der Ziegel, die heute in Gründerzeitensembles verbaut sind, zuvor schon in Barockgebäuden gedient haben und wiederverwendet wurden. Oder dass Wiens Straßenbelag – um ein morbides Beispiel zu nennen – unter anderem aus zermahlenen Grabsteinen besteht, deren hochwertiges Material, Marmor und Granit, so eine neue Aufgabe erhält. Recycling ist ein altes Konzept. Doch in den Tourismusbroschüren liest man davon nichts. Nach Meinung von Cornelia Dlabaja, neue Stiftungsprofessorin für nachhaltige Stadt- und Tourismusentwicklung an der FHWien der WKW, sollte sich das ändern: »Viele Reiseführer enden bei historischen Fakten, während die Stadt als lebendiger Ort im Hintergrund bleibt. Man findet keine Informationen zu BewohnerInnen und praktischen Aspekten: Wie man hier seinen Müll richtig entsorgt oder dass man sich nicht auf Plätze, Straßen oder Brücken setzt und diese blockiert, weil man ein Selfie machen will.«

Wiens BewohnerInnen kommen derzeit noch gut klar mit den jährlich 13,2 Millionen Übernachtungsgästen (Quelle: Statista) und den vielen TagestouristInnen. Damit das auch so bleibt, sollten laut Dlabaja verschiedene Maßnahmen getroffen werden. So müsse man darauf achten, dass sich Wiens Innere Stadt nicht weiter musealisiert: »2023 leben im 1. Bezirk nur noch rund 16.000 Menschen. Jeden davon gilt es zu halten.« Zudem müsse verhindert werden, dass die Innenstadt zur Souvenir-Shopping-Zone werde. »Wir beobachten in Städten wie Venedig oder New York, dass lokale Unternehmen wie Fleischereien, Bäcker und andere Nahversorger Souvenirshops oder Fairtrade-Cafés weichen müssen. Hier gibt es in Wien bereits positive Gegenbeispiele, wie die Umgestaltung der Herrengasse, in der sich eine Reihe von Unternehmen zusammengetan haben. Nachhaltig ist so ein Konzept, wenn die lokalen Betriebe attraktive Angebote für BewohnerInnen und BesucherInnen machen. In der Herrengasse etwa das Familienunternehmen HAMTIL & SÖHNE, das neben hochwertigen Mitbringseln auch Lesebrillen oder Lampen anbietet.«

© Luiza Puiu

Social Entrepreneurship – ja, bitte

Ein weiteres Stichwort, wenn es um auch in sozialer Hinsicht nachhaltigen Tourismus gehe, sei »Social Entrepreneurship«, fährt Dlabaja fort: »Unternehmen wie das Magdas Hotel, die Vinzirast oder das Restaurant Michls schaffen faire, nachhaltige Arbeitsplätze. Ein weiteres zentrales Element bilden kreative Start-ups wie ›Urbanauts‹, die leer stehende Geschäftslokale zu Mikro-Apartments umfunktionieren und mit lokalen UnternehmerInnen zusammenarbeiten.« Mit Konzepten wie diesen sei Wien auf einem guten Weg in Richtung der vom WienTourismus geplanten Visitor-Economy-Strategie 2025, die Pionierarbeit leistet, indem sie erstmals sowohl die Perspektive der BewohnerInnen als auch jene der BesucherInnen miteinbezieht. Sie sieht vor, den Netto-Nächtigungsumsatz um zwei Drittel auf 1,5 Milliarden Euro zu steigern und zugleich den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. (Mehr dazu hier.)

Apropos ökologischer Fußabdruck: Der hängt natürlich nicht nur von der Nächtigung (idealerweise in der lokalen Hotellerie), sondern auch von der Anreise ab. Derzeit kommen 26 Prozent der BesucherInnen mit dem Auto, nur 21 Prozent mit dem Zug – Tendenz steigend (Quelle: Gästebefragung T-MONA / Tourismus-Monitor Austria). »Aus meiner Sicht ist Wien aufgrund seiner zentralen Lage in Europa ideal mit dem Nachtzug zu erreichen«, sagt Dlabaja. »Eine Herausforderung ist dagegen der Bustourismus, sowohl was Nachhaltigkeit in der Mobilität als auch die Wertschöpfung betrifft. Der Flussschifftourismus hat aktuell stark steigende Zahlen. Sollte er zur Belastung werden, müsste man ihn regulieren, damit die Stadt nicht – wie Hallstatt oder Venedig – von TagestouristInnen überlaufen wird.«

© HAMTIL & SOEHNE/Matthias Aschauer

Hitzeinseln entsiegeln und begrünen

Abschließend erwähnt Dlabaja noch jenen Punkt, in dem sich alle Gesprächspartnerinnen einig sind: »Angesichts des Klimawandels müssen wir unsere Städte entsiegeln und begrünen – mit allen Mitteln, die wir zur Verfügung haben!« Entsiegeln? Dieser Begriff ist erst in den letzten Jahren ins öffentliche Bewusstsein gesickert. Er bedeutet, dass die Oberfläche einer Stadt, die über die Jahrhunderte zunehmend durch Bebauung und asphaltierte Verkehrsflächen versiegelt wurde, wieder geöffnet werden muss. Weil so der Boden atmen und die Stadt vor allem nachts abkühlen kann. Aber auch, weil Grünflächen für das mentale Wohlbefinden der BewohnerInnen (und  BesucherInnen) wesentlich sind. In Wien sind pro BewohnerIn 70 Quadratmeter versiegelt – ein vergleichsweise geringer Wert in Europa. Doch Obacht: Bei dieser Rechnung ist auch der Prater mitgedacht, der abseits der dicht verbauten Gründerzeitviertel und Hitzeinseln die Grünwerte schönt. So liegt die unversiegelte Fläche im 1. Bezirk bei gerade einmal 15 Prozent. 85 Prozent sind dicht und heizen sich im Hochsommer auf.

Anna-Vera Deinhammer verwendet den Begriff der »Urban Heat Islands«, also: »städtische Hitzeinseln«. Diese entstehen beispielsweise dort, wo der Asphalt dicht und das PKW-Aufkommen hoch ist, denn Autos beeinträchtigen das Mikroklima auch dann, wenn sie stehen. »Ich habe in einer August-Nacht in Ottakring mit einer Wärmebildkamera gemessen, wie viel Hitze ein Auto abstrahlt«, erzählt Deinhammer. »Die Stahlkarosserie hat zwischen 70 und 80 Grad gehabt, sie speichert Sonnenhitze. Das ist ein Problem, das die Stadt relativ schnell lösen könnte, indem sie nachdenkt, wie sie die Zahl der Autos an der Oberfläche reduzieren kann.«

© Roberto Pastrovicchio

Let’s walk!

Den PKW-Individualverkehr weitgehend aus der Stadt verbannen will auch Jasmin Duregger. Als Greenpeace-Campaignerin mit den Schwerpunkten Klima und Energie kommentiert die Alumna der FHWien die Klimapolitik in Österreich und stellt Forderungen an politische EntscheidungsträgerInnen. Aktuell arbeitet sie an einem Verbot von Privatjets – doch auf lange Sicht werde sich auch der Besitz privater PKWs in der Stadt kaum argumentieren lassen. Rund neun Quadratmeter öffentlichen Raum beanspruche ein geparkter PKW. Dabei würden die wenigsten in der Stadt ein eigenes Auto benötigen. »Der öffentliche Verkehr ist in Wien gut ausgebaut und auch leistbar.« Im europäischen Vergleich sind Wiens Öffis auf Platz 8 im Ranking um die Leistbarkeit (365-Euro-Jahreskarte). Ausbaufähig sei hingegen die Rad-Infrastruktur. Gerade für Familien mit Kindern sei Radfahren ohne baulich getrennte Radwege in Wien oft zu gefährlich, zudem sei das Radwegenetz ein Fleckerlteppich: »Wer in Wien Rad fährt, kennt diesen klassischen Moment, wenn der Radweg plötzlich endet und einen wieder in die Auto-Infrastruktur ausspuckt«, so Duregger.

Dennoch. Im dicht bebauten Stadtraum gebe es einfach bessere Alternativen als das Auto. »Die Zukunft sind Öffis, Rad fahren und natürlich zu Fuß gehen. Dabei gewinnt nicht nur das Klima, sondern man erlebt und schätzt auch die Stadt ganz anders. Und es ist natürlich auch gesünder. Wer zu Fuß durch die Stadt geht, gewinnt  Lebensqualität!«

© Mitja Kobal/Greenpeace

EU-TAXONOMIEVERORDNUNG (EUTAX)

Dieser Erlass von 2020 soll nachhaltige Investitionen in der Europäischen Union fördern und definiert, was eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit in Europa ist. Schließlich will die EU bis 2050 klimaneutral werden. Laut Taxonomie-Verordnung sind nur jene Wirtschaftstätigkeiten »grün«, die einen nachweislichen Beitrag zur Erreichung dieser Umweltziele leisten:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

FHWien & Nachhaltigkeit

Anlass für diese Fokusstrecke sind die beiden neuen Stiftungsprofessuren für Nachhaltige Immobilienentwicklung und Nachhaltige Stadt- und Tourismusentwicklung – mit deren Hilfe die FHWien der WKW ein Umdenken in Gang setzen möchte. Mit den neuen Curricula wird zudem ab Herbst 2023 das Thema Nachhaltigkeit in allen Bachelor-Studiengängen der Fachhochschule verankert.

Beispielhaft nachhaltig

Wie Partnerunternehmen der FHWien der WKW das Bauen und Wohnen klima- und umweltfreundlicher machen.

Text: Klaus Putzer

Leuchtturmprojekt an der Donau

Vor dreißig Jahren sind in der Werft Korneuburg die letzten Schiffe vom Stapel gelaufen. Seitdem liegt das weitläufige Gelände – bis auf die sporadische Nutzung als Eventlocation – brach. Hier plant die Signa Holding nun einen neuen Stadtteil für 1.500 Menschen als »nachhaltiges Leuchtturmprojekt«: Wasserkraft, Sonne und Wind sollen für eine autarke und CO2-freie Energieversorgung der Wohnungen und Büros in der »Neuen Werft Korneuburg« sorgen.

© k18

Bei der Errichtung der Gebäude setzt man auf Holz-Hybridkonstruktionen, Dachbegrünungen reduzieren die Flächenversiegelung. Herz des neuen Stadtteils soll die »Werftmitte« sein, ein lebendiges Zentrum mit viel Platz für Gastronomie, Kultur und Veranstaltungen. Die öffentlich zugänglichen Freiflächen des Quartiers konzipiert das international renommierte Team von Gehl Architects, Kopenhagen. Kristian Villadsen von Gehl Architects betont die Einzigartigkeit des Areals, das direkt an einer beliebten europäischen Radroute liegt. »Wir haben genau nachgedacht, wie wir dafür sorgen können, dass dieses Areal nicht nur die neuen Bewohner willkommen heißt, sondern ganz Korneuburg und Wien einlädt, die öffentlichen Plätze am Wasser und in der Werft zu genießen und sie auch zu einem Ausflug ins Grüne zu nutzen«, sagt Villadsen.

Sozial durchmischter Wohnraum

Auch soziale Aspekte kommen bei dem Projekt mit einem Investitionsvolumen von einer halben Milliarde Euro nicht zu kurz. In einem Kooperationsvertrag hat die  Gemeinde Korneuburg einen Anteil von 30 Prozent an leistbarem Wohnraum mit Signa vereinbart, 80 Wohnungen sollen speziell auf die Bedürfnisse von SeniorInnen zugeschnitten sein.

Ökologische Kühlung gegen die Sommerhitze

Hitzeperioden belasten StädterInnen wegen der dichten Bebauung noch stärker als die Bevölkerung auf dem Land. Auf dieses Problem findet der Wiener Bauträger Kallco mit seinem patentierten System »Klima Loop Plus« eine innovative Antwort: Das System nutzt Erdwärme, Außenluft und Sonnenstrom nicht nur zum Heizen im Winter, sondern auch zur Kühlung im Sommer. Was bisher vor allem im Segment hochpreisiger Einfamilienhäuser zum Einsatz kam, hat Kallco für den großvolumigen  Wohnungsbau optimiert und im Jänner 2022 erstmals ein »Klima Loop Plus«-Projekt fertiggestellt: Im Stadtentwicklungsgebiet Berresgasse in Wien-Donaustadt entstanden 163 geförderte Mietwohnungen nach Planungen des renommierten Architekturbüros feld72.

Gut für die Umwelt – und günstig

Und so funktioniert die zu 100 Prozent klimafreundliche Energieversorgung: Im Winter entnehmen 150 Meter tief reichende Sonden per Wärmepumpe dem Erdboden Energie, die über die Fußbodenheizung für behagliche Wärme in den Wohnungen sorgt. Wird das System im Sommer – mit einem simplen Kippschalter – auf Kühlen umgestellt, entzieht ein zweites Rohrsystem in den Geschoßdecken den Räumen die Wärme wieder und führt sie in den Erdboden zurück. So wirkt das System auch dem mit der Zeit abnehmenden Wirkungsgrad des Erdspeichers entgegen. Den Strombedarf der Wärmepumpe wiederum deckt eine am Dach montierte Photovoltaikanlage. Dieser Wirkkreislauf ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nachhaltig: Heizen und Kühlen kosten so nicht mehr als bisher Heizen allein.

© Hertha Hurnaus/feld72

Ein Flachdach mit alten Windschutzscheiben

Der weltweit größte Ziegelhersteller, Wienerberger, hat sich vorgenommen, in Zukunft alle seine neuen Produkte zu 100 Prozent wiederverwendbar oder recyclingfähig zu machen. Bis 2050 will der Konzern, der in 28 Ländern rund 19.000 Menschen beschäftigt, klimaneutral werden.

Eine Etappe auf diesem Weg ist eine kürzlich geschlossene Kooperation mit dem niederländischen Unternehmen Leadax. Seit rund eineinhalb Jahren vertreibt Wienerberger europaweit exklusiv die innovative Flachdachmembran Leadax Roov, die einen bis zu 85 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck aufweist als bisher erhältliche Lösungen.

Zur Herstellung seiner Abdichtungsprodukte wie Bleiersatz und Flachdachbahnen verwendet Leadax recyceltes Polyvinylbutyral (PVB). Dieser Kunststoff kommt häufig im Sicherheitsglas von Autos vor und wird normalerweise  verbrannt. Allein in Europa fallen dabei pro Jahr 1,5 Milliarden Kilogramm PVB-Abfälle an, das entspricht dem 150-fachen Gewicht des Eiffelturms.

Am Ende ihres Lebenszyklus, nach etwa 30 Jahren, kann die Flachdachmembran leicht demontiert und für die Herstellung neuer Produkte wiederverwendet werden.

© Leadax

Eine grüne Rennstrecke in Venedig

Nachhaltigkeit und Formel 1 – das scheint ein Widerspruch in sich zu sein. FH-Studierenden gelang es, beides zusammenzubringen, und zwar so überzeugend, dass ihr Projekt zur Architekturbiennale 2023 nach Venedig eingeladen wurde.

Text: Klaus Putzer

Die Erfolgsgeschichte beginnt in der Lehrveranstaltung »Strategisches Management« von Katharina Rotter. Die Lektorin im Studienbereich Management & Entrepreneurship der FHWien der WKW legt Wert auf Praxisbezug: Ihre Studierenden aus dem 5. Semester des Bachelor-Studiengangs Unternehmensführung – Entrepreneurship arbeiten für echte Unternehmen fiktive Aufträge aus. Im  Wintersemester 22/23 stand der Bereich ESG – Environment, Social, Governance – im Fokus, genauer gesagt ging es um Möglichkeiten, Unternehmen unabhängiger von externer Energieversorgung zu machen.

 

© Stefan Leitner/Red Bull Content Pool

Experimentelle Solarfolien

»Die Studierenden wollten etwas für die Eventbranche entwickeln – mit neuartigen, noch im Versuchsstadium befindlichen Solarfolien«, erzählt Rotter. »Der Red Bull Ring bot sich als Pilotprojekt an, denn das Hauptgebäude weist große Glasflächen auf, die mit der Folie gut zu bekleben sind.« Zentrale Fragen lauteten: Wie viel Solarenergie müsste von den Dächern und Wänden produziert werden, damit die Infrastruktur des Red Bull Ring energieautark werden kann? Und: Was würden herkömmliche Solarpaneele im Vergleich zur neuen Solartechnik bringen und kosten? Die Berechnungen zeigten: Selbst wenn nur das Dach der Haupttribüne für die Energiegewinnung genutzt würde, wären die Errichtungskosten beim Verbau von Solarfolie um 40 Prozent niedriger als bei herkömmlichen Paneelen und würde sich so wesentlich rascher amortisieren.

Allerdings, so schränkt Katharina Rotter ein: »Im Zuge der Recherchen haben wir gemerkt, dass die ›Solartechnik 3.0‹ noch in den Kinderschuhen steckt. Theoretisch kann die Solarfolie überall aufgeklebt werden, in der Praxis hakt es aber noch an diversen Faktoren wie der Wetterfestigkeit.«

© FHWien der WKW

Auf nach Venedig

Dass heute ein physisches Modell der »nachhaltigen Rennstrecke« existiert und prominent ausgestellt wurde, verdankt sich Manfred Schieber, Head of Management & Entrepreneurship Study Programs, und Walter Mayrhofer, Head of Research und Leiter des Institute for Digital Transformation and Strategy an der FHWien der WKW. »Ein befreundeter Professor des New York Institute of Technology fragte an, ein Projekt zum neuen Format ›Students as Researchers‹ einzureichen, das auf einem ›Collateral Event‹ der Architekturbiennale 2023 in Venedig ausgestellt werden sollte«, erzählt Mayrhofer.

Sofort dachten wir an den »energieautarken Red Bull Ring« und so schaffte es die FHWien der WKW schließlich als eine von rund 20 Hochschulen aus aller Welt nach Venedig. Sobald klar war, dass das Projekt auf der Architekturschau präsentiert wird, nahm Katharina Rotter Kontakt mit dem Red Bull Ring auf. Eine Exkursion nach Spielberg und einige interne Schleifen später stimmten die Verantwortlichen einer Unterstützung des Projekts sowie einer namentlichen Nennung zu. Für die Biennale bauten die Studierenden mit tatkräftiger Unterstützung von Manfred Schieber ein Modell aus Holz und schärften ihr Konzept noch einmal nach, um es an den aktuellen Stand der Technik anzupassen. Katharina Rotter: »Wir wechselten von den neuartigen Solarfolien auf herkömmliche Solarpaneele und haben zusätzlich Windenergie und Biomasse als nachhaltige Energiequellen einbezogen.«

© FHWien der WKW

Die Extrameile gehen

Ohne das ExtraEngagement der Studierenden wäre all das nicht zustande gekommen, unterstreicht die Lektorin: »Sämtliche Arbeiten rund um die Biennale fielen in die Freizeit der Studierenden. Die Lehrveranstaltung endet eigentlich mit der Bewertung des abgegebenen Konzepts.«

Belohnt wurde die »Extrameile« aller Beteiligten mit einer Präsentation vor großem Publikum in einem venezianischen Palazzo und einem abendlichen Empfang mit prominenten Gästen. Walter Mayrhofer ist vom Projekt begeistert: »Ich fand es perfekt, weil es Sichtbarkeit für studentische Forschungsarbeit erzeugt, die wir sonst nicht erreichen. Mit meinen Kollegen aus New York bin ich im Gespräch, ob wir aus der einmaligen Initiative nicht eine fixe Einrichtung machen können, zum Beispiel in Form einer Studierendenkonferenz.«

© FHWien der WKW
Cover der 3. STUDIO! Magazin-Ausgabe