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STUDIO! Ausgabe 3/2022

„Der effektivste Hebel“: Sustainable Finance

Im Zentrum des Green Deal der EU steht ein grünes Finanzsystem, das die Wirtschaft nachhaltig machen soll. Während manche Unternehmen als Vorreiter agieren, sind alle anderen gefragt, das nötige Wissen aufzubauen.

Text: Doris Neubauer

2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent sein – so lautet das Ziel der EU. Den Fahrplan dafür gibt der Green Deal vor. Darin und in den damit verbundenen Plänen nimmt Sustainable oder Green Finance eine Schlüsselrolle ein. Investitionen in nachhaltige Projekte und Aktivitäten sollen attraktiver werden, Klimarisikobewertungen stärker implementiert und Greenwashing vermieden. »Sustainable Finance ist wahrscheinlich der effektivste Hebel, um das Zukunftsthema Nummer eins in die Umsetzung zu bringen«, sagt Anne Aubrunner von der FMTG – Falkensteiner Michaeler Tourism Group zur Bedeutung des Finanzwesens beim Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.

Künftig werden Finanzierungen, die keine nachhaltigen Komponenten abdecken, deutlich unattraktiver. »Das gilt sowohl für das Unternehmen als auch für die Bank oder die Versicherung als Großanleger im Hintergrund«, weiß Aubrunner, die sich seit über 15 Jahren mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt. »Maßnahmen werden meist erst dann umgesetzt, wenn es einen wirtschaftlichen Anreiz dazu gibt. Die neuen Regeln wirken sich also in Zukunft auf die Geschäftsgebarung von Unternehmen, Banken, Anlegern und Kreditnehmern aus.«

© Dragan Dok

Alle Teile des Unternehmens betroffen

Als »kräftigen Impuls für alle, die bereits nachhaltig aktiv sind, und – hoffentlich – als Anreiz für viele weitere Unternehmen« bezeichnet Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe und CEO der VBVVorsorgekasse, den Green Deal. Die VBV ist im Finanzsektor ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: Sie hat etwa bereits 2002 einen Ethik-Beirat eingesetzt und im Jahr darauf die ersten nachhaltigen VBV-Aktienfonds aufgelegt. »Das hat schnell auf alle Bereiche unseres Unternehmens übergegriffen«, meint der Experte. »Ob im Kerngeschäft Veranlagung, im Büro-Alltag oder beim HR-Management.«

Die ganzheitliche Implementierung sei essenziell, rät Zakostelsky anderen Unternehmen. »Dazu gehört auch unbedingt transparente und professionelle Kommunikation, vor allem nach innen. Denn nur wenn die ganze Belegschaft an einem Strang zieht, sind Ziele erreichbar und Maßnahmen umsetzbar.« Hilfreich sei zudem, die Kraft von Netzwerken zu nutzen. Die VBV Pensionskasse und Vorsorgekasse zählen beispielsweise zu den ersten neun Mitgliedsunternehmen der Green Finance Alliance, einer Initiative des Klimaschutzministeriums für zukunftsorientierte Finanzunternehmen. »Die Green Finance Alliance wird dazu beitragen, dass noch mehr Unternehmen die Kraft und das Potenzial der Nachhaltigkeit erkennen«, ist Zakostelsky überzeugt.

© Imre Antal

Crowdfunding für nachhaltige Maßnahmen

Auch beim Familienunternehmen Falkensteiner beobachtet Anne Aubrunner eine Transformation der Gesamtorganisation: Beim Bauen und Betreiben der Hotels wird schon seit geraumer Zeit viel Wert auf Niedrigenergie gelegt, man setzt auf Regenwasserspeicherung sowie auf ein zentrales Energiemonitoring. In der Gastronomie achtet man auf regionalen Produkteinkauf. Besonders ist für Aubrunner aber die enge Bindung zwischen Gästen und dem Unternehmen. »Vor fünf Jahren kam erstmals die Idee auf, unseren Gästen die Beteiligung an unseren Vorhaben und Projekten zu ermöglichen. Mittlerweile sind wir in unserer achten Crowdfunding-Runde. Das aktuell gesammelte Kapital wird unter anderem für Maßnahmen aus unserer Nachhaltigkeitsstrategie eingesetzt.«

© Gettyimages/Steven Puetzer

Firmen müssen Kompetenz aufbauen

Andere Unternehmen haben bei Sustainable Finance noch nicht so viel Erfahrung gesammelt und Kompetenz aufgebaut wie die FMTG und VBV – das gilt es nachzuholen. »Dem Thema Sustainable Finance kommt mit dem Green Deal eine immer bedeutendere Rolle zu«, sagt Andreas Zakostelsky. »Umso wichtiger sind erstklassig ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich dann dazu in den Unternehmen auch optimal einbringen können.« Um Wissen aus der Praxis weiterzugeben, sitzt der Generaldirektor der VBV-Gruppe auch im Beirat des Weiterbildungsprogramms Sustainable Finance Management an der FHWien der WKW, das verschiedene Angebote von kurzen Einführungskursen bis zu einem 3-semestrigen MBA-Studium umfasst.

»Aus der Tiefe unserer Erfahrung und unseres Wissens sind die Inhalte für diesen Lehrgang entstanden«, erklärt Anne Aubrunner, die seit der ersten
Stunde Teil des Entwicklungsteams des MBA-Studiums ist. »Besonders wichtig ist mir, den strategischen Impact von Green Finance und die Zusammenhänge in einer Organisation einzubringen. Denn beim Drehen an einer Stellschraube, wie zum Beispiel dem CO2-Fußabdruck bzw. CO2-Preis, kommen zahlreiche Prozesse in Gang, die es zu managen gilt.« Rund um Green Finance werden spannende Jobs und zukunftstaugliche Geschäftsmodelle entstehen, ist sie sich sicher. Solche wird es brauchen, um das EU-Ziel bis 2050 zu erreichen.

Sustainable Finance Management

An der FHWien der WKW startet diesen Herbst das berufsbegleitende Studium Sustainable Finance Management. Leiterin ist Heidrun Kopp, Expertin für Nachhaltigkeit und Sustainable Finance, die über langjährige Erfahrung im Bankensektor verfügt und sich seit 2010 mit dem Thema Nachhaltigkeit im Finanzwesen befasst.

STUDIO! 03/2022 Cover