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Digitaler Humanismus: Technologie zwischen Überwachung und Menschenzentrierung

24. Juni 2022

Wie könnte ein Digitaler Humanismus aussehen und welche Voraussetzung braucht es dafür? Dieser Frage ging Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter der Ars Electronica, am 15.6.2022 in seiner Keynote an der FHWien der WKW nach.

Schon längst ist die Entwicklung der „Digitalisation“ – wie Gerfried Stocker es nennt – abgeschlossen. Im Sinne von „optimieren, automatisieren und rationalisieren“ ist die Anwendung digitaler Produkte und Services zur täglichen Routine geworden. Diese schöne neue digitale Welt, die schon lange über den reinen Austausch von Daten hinausgeht, ist für uns ein sozialer Lebensraum geworden, in dem wir persönliche Kontakte und Intimitäten teilen.

Vortragender Gerfried Stocker bei seiner Keynote an der FHWien der WKW

Digitalisierung weiterdenken – Grenzen der Vorstellung überschreiten

Laut Stocker befinden wir uns daher schon längst im Prozess einer digitalen Transformation, die weit über die reine Nutzung vormals analoger, nun digitaler (Dienst-)Leistungen hinausgeht. Es ist das Zeitalter des Neu-Denkens. Erste neue Ansätze haben bereits zur Vernetzung und zu neuen Geschäfts- und Organisations- & Verwaltungsmodellen geführt wie beispielsweise Social Media, Airbnb und Uber. Erstmals wurden hier Geschäftsfelder aufgebaut, die in der analogen Welt nicht mehr umsetzbar sind und auch oft verbal schwer beschrieben werden können. Diese neuen Anwendungszusammenhänge führen zu neuen Problemstellungen und auch Fragen der Moral und Ethik: Wo zahlt man Steuer? Ist das fair gegenüber anderen MitbewerberInnen? Ist diese neue Form der Ausbeutung gerechtfertigt?

FHWien der WKW-Keynote-Digitaler Humanismus-Gerfried Stocker

Digitale Technologie ist per natura eine Überwachungs- und Kontrolltechnologie

Stichwort „Smart City“: Diese Konzepte sind nicht nur laut dem Geschäftsführer der Ars Electronica in ihrer Grundform zunächst einmal Datenwirtschaftskonzepte. Der Einsatz digitaler Technologien zum Nutzen der Bevölkerung setzt das Sammeln, Verarbeiten und Evaluieren von Daten voraus. Daten müssen daher im Sinne einer digitalen Transformation auch verwendet werden dürfen, damit eben daraus eine Optimierung und (Qualitäts-)Verbesserung garantiert werden kann. Eine Anonymität, wie wir sie uns wünschen, ist aber dann so nicht mehr möglich. Als Beispiel nennt Stocker den Bereich Pflege und Gesundheit. Soll eine Technologie zum Nutzen des Menschen eingesetzt werden und sich dessen Bedürfnissen anpassen (menschenzentrierte Technologie), so benötigt es ein ständiges Monitoring der Daten und Adjustieren. Digitaler Humanismus ist daher auch eine permanente Adjustierung an den Menschen mit Hilfe von Daten.

Audimax der FHWien der WKW - Keynote Digitaler Humanismus

Algorithmen stoßen bei Fragen der Ethik an ihre Grenzen

Möchten wir digitale Technik zu unseren Gunsten im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität einsetzen, wäre eine autodidaktische Technologie, die Anpassungen quasi von selbst vornimmt, von Vorteil. Das System soll dabei autonome Entscheidungen treffen und daraus lernen. Selbstfahrende Autos beispielsweise sollen Hindernisse erkennen und stoppen bzw. ausweichen und somit Menschen vor Gefahren schützen. Wie erkennt und unterscheidet eine Technologie nun Objekte verschiedenster Art? Derzeit werden sie in mühevollen Prozessen in das System eingepflegt, indem jedes Subjekt und Objekt von einem Menschen identifiziert und in das System eingegeben wird – dies geschieht derzeit in vielen Entwicklungsländern! Der von Menschen programmierte Algorithmus – mathematische Funktionen, bei denen bereits im Vorfeld das Ergebnis bekannt ist – entscheiden nun situationsabhängig. Aber was tun, wenn in einem bestimmten Szenario immer mindestens ein Mensch zu Schaden kommen kann? Moralische Standards zu programmieren fällt auch den besten EthikerInnen schwer – und diese weichen zudem auch kulturspezifisch ab. Wer entscheidet hier, was richtig und was falsch ist? Mit den Unterschieden leben lernen – ist das in einer globalisierten Welt möglich?

FHWien der WKW-Keynote-Digitaler Humanismus

Game Changer Künstliche Intelligenz?

Von einer „echten“ Künstlichen Intelligenz sind wir auch beim Beispiel selbstfahrende Autos noch weit entfernt. Selbst Algorithmen, die scheinbar Gesichter bzw. Bilder erkennen, basieren auf dem Lernprozess im Sinne von „Trial and Error“ und erkennen zwar dann auf Basis der Abfolge der Bildpunkte Gegenstände, wissen aber nicht, was das Gesamtkonzept Mensch dahinter bedeutet. Zudem werden Stereotype im Falle dieses „Lernprozesses“ verstärkt wiedergegeben – wer sieht sich nicht gerne Katzenvideos im Internet an? Werden solche Systeme z. B. für die Erkennung von Hautkrebs verwendet, scheint dies sinnvoll und gerechtfertigt. Wird die Anwendung auf die Identifikation von Kriminellen auf Basis von Gesichtszügen ausgeweitet, stellt sich die Frage, wie reliabel das Ganze doch ist, oder?

Trotz hoher Akzeptanz digitaler Technologien im Alltag und der Selbstverständlichkeit, mit der wir mit ihnen umgehen, verstärken sich immer mehr sogenannte „Contra-Trends“ wie beispielsweise „In Real Life-Experiences“ – ein Spaziergang durch den Wald ganz ohne Smartphone, Wasser aus dem Bach trinken, einen Baum umarmen … das gibt es dann doch nur in der Wirklichkeit!

 

Die Keynote wurden von David Dobrowsky, Studiengangsleiter des Bachelor-Studiengangs Kommunikationswirtschaft, sowie Coordinator Marketing Communications Melanie Gratzer vom Studienbereich Communication Management der FHWien der WKW, organisiert. Bei der Themenauswahl wird besonders auf aktuelle Fragestellungen zu Kommunikation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit wertgelegt. Dabei bereichern Speaker außerhalb der Bereiche Kommunikation und Management/Wirtschaft mit ihren Sichtweisen den Blickwinkel auf Themen unserer Zeit.

In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön an Gerfried Stocker für seinen spannenden Vortrag, der zum Nachdenken anregt!

 

Fotos: © Markus Hechenberger