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studio! Ausgabe 4/2014

Cover Story: … und es hat „Boom“ gemacht

Wer ein Start-up gründet, träumt von einem boomenden Erfolg. Was aber, wenn dieser tatsächlich eintritt?

von Wolfi Rössler

Als im August 2013 der Sturm auf seine Website losbrach, war Daniel Kofler offline. Er nahm an der Weltmeisterschaft der Fahrradkuriere in Lausanne teil, einem Pflichttermin für den passionierten Pedalritter und Mitgründer des Startups »BikeCityGuide«. Während sich Kofler mit Gleichgesinnten darum matchte, wer ein Paket am schnellsten auf zwei Rädern von A nach B befördern konnte, explodierten die Zugriffszahlen und Downloads. Der Grund: Die BesucherInnen des einflussreichen US-Onlinemagazins Reddit.com hatten die von Kofler ersonnene Fahrrad-Handyhalterung »Finn« zum heißesten Tool des Tages ernannt und eine Lawine losgetreten. Als Kofler später, noch immer schweißgebadet vom Radeln, auf seinem Handy die Zugriffszahlen checkte, traute er kaum seinen Augen: Die Balken am Analysetool waren schier ins Unendliche geschossen. »Das war für mich in keiner Weise absehbar«, sagt Kofler.

(c) BikeCityGuide

Der heute 29-jährige Grazer hat erlebt, wovon die meisten österreichischen GründerInnen nur träumen können: Durch eine Häufung von glücklichen Zufällen wurde binnen weniger Tage aus seinem kleinen Start-up ein international gefragtes Unternehmen. Von null auf hundert in kurzer Zeit: Im Vorjahr machte seine kleine Firma bereits einen Umsatz von über 330.000 Euro, heuer sollen es noch weit mehr werden. Mehr als ein Dutzend Vollzeitangestellte arbeiten mittlerweile daran, die Fahrrad-Navigationssoftware ständig weiterzuentwickeln. Es läuft gut für Kofler, weil er die Wachstumskurve gut genommen hat und die meisten Fallen des raschen Erfolgs intuitiv umgangen hat: Kofler hat sich nicht mit seinen Gründungskollegen überworfen, er hat sich professionellen Rat von außen geholt und nicht im Überschwang des ersten Erfolges mit Geld um sich  geworfen. Für viele JungunternehmerInnen, warnt die Start-up-Expertin Christina Schweiger, würden die wahren Probleme erst mit dem Wachstum einsetzen: »Sie sind überfordert, wenn der Erfolg einsetzt.«

Schweiger leitet den Bereich Entrepreneurship am Institut für Unternehmensführung an der FHWien der WKW. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Wachstum von Unternehmen und berät junge GründerInnen, wie sie die Umsätze und Gewinne ihres Start-ups planvoll steigern können. Einer ihrer wichtigsten Tipps: »Man sollte sich bereits in der Gründungsphase überlegen, wie man damit umgeht, wenn es zu einem Boom kommt.« Das kann auch Investor Oliver Holle, Lektor an der FHWien der WKW, bestätigen. Er hat noch einen weiteren Ratschlag parat: GründerInnen sollten bereits in der Anfangsphase untereinander eine Art »Ehevertrag« abschließen. Denn oft würden die  unterschiedlichen Mentalitäten der Gründungspersönlichkeiten gerade im Erfolgsfall aufeinanderprallen.

(c) Shutterstock/JR Casas

Start-up?

Nicht jedes neu gegründete Unternehmen ist ein Start-up. An einer genauen Definition scheiden sich die Geister. Unstrittig ist: Unter einem Start-up versteht man ein neu gegründetes Unternehmen mit einer innovativen Idee, die bisher noch nicht am Markt probiert wurde. Fast immer ist also die Gründung mit einem gewissen Risiko verbunden – aber zugleich eine große Chance, weil es noch keine direkte Konkurrenz gibt. Und: Das Unternehmen muss auf schnelles Wachstum angelegt sein. Das unterscheidet also ein Start-up von einer Firma, die über einen langen Zeitraum langsam aufgebaut wird.

Nicht streiten

Holle ist CEO der Investmentfirma Speedinvest, die Start-ups in der Anfangsphase finanziell unter die Arme greift. Vier Jungunternehmen hat Speedinvest heuer bereits unterstützt. Im Schnitt, erzählt Holle, trifft er die Entscheidung nach drei bis vier Meetings. Dabei habe er nicht nur die Produktidee im Auge: »Daran kann man immer noch arbeiten, sie wird im Laufe der Zeit ohnehin oft gedreht.« Mindestens ebenso entscheidend seien andere Kriterien: »In der Frühphase muss mich das Team überzeugen«, sagt der Investor. Wenn er den Eindruck gewinne, dass sich die Gründungsmitglieder untereinander uneins seien, »dann bedeutet das red flag« – er ziehe sich zurück.

Freilich: Nicht immer sind die Differenzen gleich zu Beginn augenscheinlich. Oft überdeckt die Anfangseuphorie der Gründungsmannschaft unterschiedliche Visionen und Zugänge. »Mit ein paar einfachen Fragen kann ich feststellen, worüber in einem Team noch nie geredet wurde«, spricht Start-up-Expertin Schweiger aus der Praxis. Für einige GründerInnen, erzählt sie, seien wirtschaftlicher Erfolg und Wachstum eher nebensächlich. »Das ist überraschend, weil ein Start-up ja eigentlich per Definition auf rasches Wachstum angelegt ist. Aber es gibt viele IdealistInnen, denen ein familiärer Umgang miteinander wichtiger ist als wirtschaftlicher Erfolg. Andere wiederum würden ehrgeizig auf den großen Durchbruch hinarbeiten, sie setzen daher auch auf einen autoritäreren Führungsstil. « Die Unterschiedlichkeit der Gründungscharaktere könne für ein  Unternehmen vor allem am Anfang zwar befruchtend sein – »aber man sollte sich so früh wie möglich auf gemeinsame Werte verständigen.« Dem stimmt Holle grundsätzlich zu – auch wenn er differenziert: »Ich würde die Gründer jetzt nicht unbedingt in die Kategorien idealistisch und geldgierig aufteilen. Tatsache ist, dass man Kapital benötigt, wenn man die Welt verbessern will.«

(c) Shutterstock/JR Casas

Mit Unterschieden umgehen

Kofler würde sich auf jeden Fall als Idealisten bezeichnen. Der ehemalige Fahrradbote hatte 2011 gemeinsam mit einer Handvoll Gleichgesinnter die Idee, eine Navigationssoftware für Fahrräder zu programmieren. Das Besondere daran: Die Handy-App sollte randvoll sein mit Insidertipps der Fahrrad-Profis, denen kein Schleichweg unbekannt war. Die Basisfunktionen des »BikeCity-Guide« sind kostenlos, einzelne Stadtkarten können zugekauft werden. Man erhält sie auch im Paket mit »Finn«, der innovativen Handyhalterung für die Lenkstange. Dabei sei es ihm nie um das schnelle Geld gegangen, beteuert der Gründer. Sondern eher darum, AutofahrerInnen im städtischen Verkehr den Umstieg auf das umweltfreundlichere Fahrrad schmackhaft zu machen. »Geld ist zwar ein Thema«, sagt Kofler, »aber kein Selbstzweck.« Mit dieser Einstellung habe er auch seine MitarbeiterInnen ausgesucht: »Ich habe Leute gesucht, die eine Leidenschaft für das Radfahren besitzen und nicht bloß wegen dem Geld mitmachen wollen.«

Umut Kivrak ist eine ganz andere Unternehmerpersönlichkeit. Während Kofler eher auf Umwegen zum Gründer wurde, hatte der in Deutschland geborene Austro-Türke schon als ganz junger Mann klare Vorstellungen vom Geschäft. Bereits mit 23 Jahren gründete er sein erstes Startup, eine Elektrobike-Plattform für Tourismusgemeinden. Nun, mit 30, hat er ein neues Projekt aus der Taufe gehoben: »Yipbee«, ein Zustellservice für Lebensmittel in Wien, das im November startete. Auch Kivrak will, dass sich seine MitarbeiterInnen wohlfühlen, er legt Wert auf eine familiäre Arbeitsatmosphäre. Aber er will mit seinem Unternehmen auch möglichst bald wachsen und Geld verdienen. Kivrak hat eine deutlich konservativere Philosophie als der Fahrrad-Aficionado Kofler: Er plant seinen Erfolg. »Man muss wissen, was man erreichen will, und sich genaue Ziele setzen«, sagt Kivrak.

(c) Shutterstock/JR Casas

Kivrak ist überzeugt, dass der Grundstein für das Wachstum bereits vor der Unternehmensgründung gelegt werden muss. Viele würden am Markt vorbei produzieren, ohne sich Gedanken über mögliche KundInnen zu machen. »Sie rennen los, ohne genau zu wissen, wo sie eigentlich hin wollen.« Sein Rat an junge UnternehmerInnen: »Man kann nicht früh genug anfangen, den Kontakt zu potenziellen Kunden zu suchen.« Oft reiche schon eine Umfrage im Bekanntenkreis, um zu wissen, ob es Interesse an einem Produkt gebe.

Der Unternehmer warnt vor zu hohen Erwartungen. Erfolge wie jene des »BikeCityGuides« oder von »Runtastic« seien absolute Einzelfälle. Vor allem in Österreich dürfe man nicht auf einen »megaviralen Erfolg« hoffen – also auf einen unvorhersehbaren Boom. Wachstum müsse kalkuliert passieren. »Anders als in Deutschland oder in den USA geschieht es hierzulande selten, dass ein Unternehmen zu schnell wächst«, sagt Kivrak. »Es ist eher umgekehrt so, dass das Wachstum sehr langsam vonstatten geht.«

Mut zum Nein-Sagen

Gerade in der Durststrecke sieht Investor Holle eine der größten Gefahren für Start-ups. »Vor allem im B2B-Bereich kommt es vor, dass Unternehmen monatelang kaum Kunden bekommen. Wenn sie dann auf einen Schlag vier Aufträge an Land ziehen, fallen manche auf die Schnauze, weil sie überfordert sind.« GründerInnen stünden dann vor einer besonders schwierigen Aufgabe: »Es gehört zu den krassesten Übungen, einem Kunden abzusagen, um den man sich ein Jahr lang bemüht hat.« Wenn die technischen und personellen Ressourcen zu knapp seien, um einen Auftrag zu erfüllen, müsse man sich schleunigst nach externer Unterstützung umsehen. Sollte dies nicht möglich sein, rät Holle dazu, »Nein« zu sagen – vor allem wenn ein Scheitern bei der Auftragserfüllung für das Unternehmen existenzgefährdend sein könnte.

Hilfe holen

Vor diesem Problem stand Kofler nicht. Einmal programmiert, lässt sich seine App beliebig oft downloaden. »Zum Glück haben wir uns von Anfang an so aufgestellt, dass die Server selbst bei extremen Spitzen halten«, sagt er. Und noch einen klassischen Anfängerfehler hat Kofler vermieden: Er hatte keine Scheu, sich Hilfe von außen zu holen. Schon vor dem Boom hat der junge Unternehmer ein »advisory board« eingerichtet: Eine Handvoll unabhängiger Fachleute und etablierter UnternehmerInnen, die ihm Ratschläge gaben. »Über das akademische Gründerzentrum haben wir Kontakt zu Professoren, einer Wirtschaftspädagogin und zwei etablierten Geschäftsführern bekommen«, erzählt Kofler. Das Angebot sei vorhanden, »wir haben offene Türen eingerannt.«

Dennoch würden zu wenige JungunternehmerInnen von sich aus Hilfe in Anspruch nehmen, klagt Schweiger. »Der größte Fehler liegt in der Einstellung: ›Ich kann das ganz alleine schaffen‹«, sagt sie. »Das ist ein Teil der österreichischen Mentalität. Manche strudeln sich dann irgendwie durch, andere scheitern.« Dabei gebe es eine Vielzahl an Institutionen, die Start-ups unter die Arme greifen. Einer der wichtigsten Geburtshelfer für junge Talente ist Daniel Cronin, der auch die Entwicklung des erfolgreichsten österreichischen Start-ups der jüngeren Vergangenheit, »Runtastic«, aus der Nähe beobachtete. Was haben die Leute von »Runtastic« richtig gemacht? Woran scheitern andere hoffnungsvolle Start-ups? Auch für Cronin ist frühe Planung das A und O. »Man muss ein Produkt rechtzeitig skalieren«, sagt er. Sprich: wissen, wer die potenzielle Kundschaft ist. »Einer der häufigsten Fehler, den ich beobachte, liegt darin, dass Gründer von den ersten 100 Kunden auf die nächsten 100.000 schließen.«

Drei preisgekürte Businesspläne

Einmal jährlich kürt das Institut für Unternehmensführung der FHWien der WKW den besten Businessplan der Studierenden. Wieder wurden drei innovative Ideen ausgezeichnet: Das Projekt »natural FIT OIL«, eine besonders gesunde Naturölmischung, erreichte den ersten Platz. Die Silbermedaille ging ex aequo an das Team »Bar-App« (eine Präsentationsplattform für Barbesitzer) und »eNoten« (ein elektronisches Gesangsbuch).

Der Anfang ist einfach

Im Überschwang des ersten Erfolgs würden viele übersehen, dass ein großer Teil der frühen KundInnen Freunde, Bekannte und besonders begeisterungsfähige SpezialistInnen seien. »Diese Menschen verhalten sich ganz anders als die breite Masse«, sagt Cronin. »Ein typischer Fehler liegt darin, zu glauben, dass man die nächsten Kunden mit demselben Aufwand bekommt.« Auch Cronin rät im Zweifel zur Zurückhaltung: »Die Kundenzufriedenheit ist das Um und Auf. Man muss für die Qualität eines Produkts einstehen können. Wenn die nicht stimmt, kann es schnell bergab gehen.«

Daniel Kofler von »BikeCityGuide « ist heute froh, dass er in einer entscheidenden Frage auf die Empfehlungen seiner Berater gehört hat. Das US-Publikum war begeistert von dem Gimmick »Finn«, der Handyhalterung; es gab Tausende Vorbestellungen. Dennoch entschied sich Kofler vorerst gegen den US-Markt. »Wir haben dadurch einiges liegen gelassen. Aber eine übereilte Adaptierung des Produkts für den US-Markt war uns zu gefährlich.« Denn die US-Sicherheitsauflagen für Halterungen dieser Art sind weitaus kniffeliger als jene in Europa, bei einer möglichen missbräuchlichen Verwendung hätte eine Flut von Schadenersatzforderungen gedroht. »Wir haben der Verlockung widerstanden«, sagt Kofler. Erst seit wenigen Monaten ist das Start-up in den US-Markt eingestiegen – nachdem mehrere Anwälte das Konzept auf Herz und Nieren geprüft haben.

(c) Shutterstock/JR Casas

Noch sieht Kofler sein Unternehmen als erweiterten Familienbetrieb: Mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist er wie selbstverständlich per Du, er legt Wert auf Mitbestimmung und gemeinsame Aktivitäten: Jeden Tag wird in seinem Unternehmen gemeinsam gekocht, die Angestellten wechseln sich dabei ab. Auch der Chef persönlich schwingt hin und wieder den Kochlöffel. Aber mit dem Wachstum steigen auch die personellen Herausforderungen. »Das Betriebsklima hat sich durch den Erfolg nicht geändert«, sagt er. Wohl aber die personelle Struktur: »Wir achten jetzt mehr auf Prozesse.« Anders als in den Anfangstagen würde er nun viel mehr Zeit in die Definition und Teilung von Aufgaben investieren: »Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, müssen Funktionen so gestaltet werden, dass sie im Falle von Urlaub oder Krankheit auch von einem Zweiten übernommen werden können«, sagt er. Auch wenn er es eigentlich nicht wollte: »Es war nötig, eine gewisse Hierarchie einzuziehen.«

Das deckt sich mit Schweigers Analysen von boomenden Unternehmen. »Ab 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird es kritisch«, sagt sie. »Bis dahin funktioniert es mit flachen Hierarchien und Basisdemokratie. Aber ab einer gewissen Größe kommt man nicht mehr umhin, die Führungskultur zu ändern.« Die Start-up-Expertin hat aber noch eine andere Beobachtung gemacht: Es gebe, sagt sie, gar nicht so wenige Unternehmen, die freiwillig auf weiteres Wachstum verzichten würden. »Manche wollen es eben einfach lieber gemütlicher haben.«