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STUDIO! Ausgabe 3/2020

Coverstory: Arbeit mit Emotion

Lachen, weinen, wüten, begeistert sein: Auch im Arbeitsalltag sind wir Menschen und können Gefühle nicht beim Portier abgeben. Wie viel an Emotionen ist im Arbeitsumfeld sinnvoll? Kann Emotionalität beruflich weiterbringen? Kann sie gar schaden?

von Emily Walton

Fluchen, weil der Kollege zum vierten Mal in dieser Woche zu spät gekommen ist; weinen, weil das Projekt, an dem man über Monate gearbeitet hat, abgelehnt worden ist; jubeln, weil der Chef einem den langersehnten Bonus zugesprochen hat. Gefühle erleben wir im Berufs- wie im Privatleben, doch in welcher Form wir sie am Arbeitsplatz zeigen können, ist vielfach ungeklärt. »Die Frage, ob wir im Job Emotionen zulassen dürfen, ist eine schwierige«, sagt Arbeits- und Organisationspsychologin Bettina Wegleiter: »Denn ganz verbergen lassen sich Emotionen ohnehin selten. Viel eher geht es darum, wie wir unsere Emotionen kommunizieren und eine gewisse Grammatik der Gefühle zu beherrschen.«

Emotionen erkennen und benennen

Um Emotionen der Situation angemessen mitzuteilen, sollte man zunächst in der Lage sein, die eigenen Gefühle zu identifizieren. »Es ist für mich frappierend zu beobachten, wie viele Menschen ihre Emotionen gar nicht bewusst wahrnehmen«, sagt Gerhard Fenkart-Fröschl, Lektor an der FHWien der WKW in den Studienbereichen Communication Management sowie Marketing & Sales Management und Gründer des neuen Unternehmens »STAGES – Story Based Seminars«. Damit seien nicht große Gefühle wie etwa Trauer und Freude gemeint, die man deutlich wahrnimmt, sondern vor allem die kleinen, nuancierten Emotionen im Alltag: die zermürbende Unzufriedenheit, die unterschwellige Wut oder die nagende Nervosität etwa. »Meditation und Yoga können helfen, in sich hineinzuspüren und zu sehen, was jetzt gerade in einem vorgeht«, rät Fenkart-Fröschl. Im Job ist Emotionsregulation besonders gefragt, denn wer etwa seine Reizbarkeit rechtzeitig erkennt, kann gut gegensteuern. »Es kann am Arbeitsplatz durchaus sinnvoll sein, sich kurz zurückzuziehen, um seine Gedanken aufzuschreiben und seine Emotionen aufzuspüren«, rät Sabine Cimen-Piglmann, Coach und ebenfalls Lektorin an der FHWien der WKW.

Der Umgang mit den eigenen Emotionen hängt stark damit zusammen, wie man selbst emotional sozialisiert wurde. »Emotionen entstehen selten aus dem Moment heraus, sie sind häufig verknüpft mit früheren Erfahrungen, die wir in uns tragen. Durch bestimmte Situationen werden sie stimuliert«, erklärt Wolfgang Steger, FUTURE-Coach und Lektor an der FHWien der WKW. »Um einen reifen Umgang mit Emotionen zu entwickeln, muss man zunächst ›alte Dramen‹ entschärfen. Das ist tatsächlich vergleichbar mit der Entschärfung eines Minenfelds.« Nur so könne man Emotionen verstehen, kanalisieren und kommunizieren, anstatt sie ungefiltert nach außen dringen zu lassen.

(c) Getty Images

Wie viel Gefühl ist gut?

»Welche Emotionen man am Arbeitsplatz zeigen ›darf‹, ist eine strategische Entscheidung jedes Einzelnen«, sagt Gerhard Fenkart-Fröschl. Wer sich etwa im Job angekommen und unter den KollegInnen wohl fühlt, kann Gefühlen deutlich mehr Freiraum geben als jemand, der die Karriereleiter erklimmen und eine Position im Top-Management erreichen möchte. »Hier ist das Zeigen von Emotionen nun einmal wenig gefragt«, so Fenkart- Fröschl. Vorstandsmitglieder seien natürlich nicht emotionsfrei, aber es sei in dieser Hierarchieebene kaum angebracht, sie zu zeigen. Zwar hört man immer wieder von Chefs, die ausrasten, aber mehr als ein rarer, kurzer Wutausbruch wird in einer hohen Position selten toleriert. »Studien belegen, dass man männlichen Führungskräften einen Gefühlsausbruch weniger anlastet als weiblichen«, so Steffi Bärmann, Academic Coordinator Human Resources Development, Training & Coaching an der FHWien der WKW.

Auf Teamebene hingegen können zugelassene Gefühle den Einzelnen wie auch die Gruppe stärken. »Emotionen haben etwas mit Authentizität zu tun. Wer sich verstellt, wird schnell unglücklich«, so Tanja Karlsböck, Content-Managerin der Plattform karriere.at. Wer hingegen seinen Gefühlen Raum gibt, schafft Ansatzpunkte für Unterstützung. Hat man etwa eine schlechte Phase und teilt dies den KollegInnen mit, gibt man ihnen die Chance zu fragen: »Was brauchst du? Wie können wir helfen?« Synergien können entstehen. »Das bedeutet freilich nicht, dass man das Fass ins Unendliche aufmachen und alles Persönliche mitteilen sollte«, warnt Psychologin Bettina Wegleiter.

(c) Getty Images

»Wer mit seinen Emotionen im Einklang steht, hat die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie viel davon er den Mitmenschen preisgeben möchte «, betont Steffi Bärmann von der FHWien der WKW die Bedeutung der Emotionsregulation: »Man muss am Arbeitsplatz nicht weinend über den Gang laufen, aber vielleicht gibt es einen Raum, in den man sich kurz zurückziehen und Gefühle zulassen kann; die Möglichkeit, eine Führungskraft anzusprechen oder mit einzelnen Mitgliedern im Team zu reflektieren.«

Die Art und Weise des Zeigens von Gefühlen in einer Belegschaft wird stark durch die jeweilige Unternehmenskultur beeinflusst. »Es gibt Unternehmen, in denen extrem viel Wert darauf gelegt wird, dass man authentisch und ehrlich ist«, weiß Gerhard Fenkart-Fröschl, Lehrender in den Studienbereichen Communication Management und Marketing & Sales Management der FHWien der WKW. Manche Unternehmen setzen in der Organisationsentwicklung aktiv auf Emotionen. Sie können als sogenannte Deliberately Developmental Organisations kategorisiert werden, erklärt Steffi Bärmann. »Solche Unternehmen nutzen das Potenzial von Emotionen wie etwa Angst, um diese zu bearbeiten und letztendlich zu verwandeln, zum Beispiel in Gelassenheit.«

Gerade in Zeiten der Digitalisierung wird Menschlichkeit zunehmend wichtig – besonders in Betrieben mit einer jungen Belegschaft. »Grundsätzlich ist das Zeigen von Emotionen aber keine Frage des Alters«, sagt Bärmann. »Doch es scheint, dass die jüngere Generation im Umgang mit Emotionen mutiger ist.«

Richtig reagieren

Es gibt einen großen Unterschied zwischen »Emotionen nicht zeigen, aber sie dennoch bewusst wahrnehmen « und »Emotionen verdrängen«. Passiert Letzteres, steigt das Risiko, dass der/die Betroffene eines Tages impulsiv handelt und ausrastet. »Wenn ein Kollege oder eine Kollegin im Großraumbüro ständig laut telefoniert und man sich nicht auf seine Tätigkeit konzentrieren kann, sollte dieser Ärger unbedingt angesprochen werden. Sonst können unausgesprochene Konflikte entstehen«, betont Coach Sabine Cimen-Piglmann. Hier gilt es zunächst zu reflektieren, was den eigenen Unmut schürt. »Gerade bei negativen Emotionen ist es notwendig zu erkennen, worin diese Gefühle begründet liegen und dann die Verantwortung für die eigenen Emotionen zu übernehmen«, sagt FUTURE-Coach Wolfgang Steger. Nichts zu sagen ist jedenfalls keine gute Lösung. »Durchhalten ist eine kindliche Reaktion«, warnt Arbeits- und Organisationspsychologin Wegleiter. Permanentes Verdrängen von Gefühlen kann zu seelischen und körperlichen Erkrankungen führen. »Hinzu kommt, dass es in jedem Unternehmen ein Machtgefälle gibt«, warnt Gerhard Fenkart-Fröschl. »Wer sich alles gefallen lässt, riskiert, dass diese Zurückhaltung ausgenutzt wird.«

Wenn ein Gegenüber offen Gefühle zeigt, tritt bei vielen die Sorge auf, nicht richtig reagieren zu können, so Bettina Wegleiter: »Es geht als Gegenüber nicht darum, die Probleme des anderen zu lösen. Viel eher geht es um das Anerkennen der Emotionen.« Oftmals taucht auch die Frage auf, ob Emotionen am Arbeitsplatz zu viel Nähe zwischen den KollegInnen erzeugen. Kann man noch professionell zusammenarbeiten, wenn man seine Gefühle mitteilt? Übertritt man nicht eine unsichtbare Schwelle und macht KollegInnen zu privaten FreundInnen? »Diese Befürchtung der Verhaberung ist eher ein europäisches Phänomen«, glaubt Fenkart-Fröschl, der in den USA und Südamerika aufgewachsen ist. »Im englischsprachigen Raum sehen wir, dass es sehr gut möglich ist, Emotionen zum Ausdruck zu bringen, sich beim Vornamen anzusprechen und dennoch ein professionelles Verhältnis zueinander zu haben.«

(c) Getty Images

Emotionen als Chance

Die Frage, ob Gefühle am Arbeitsplatz erlaubt sind, taucht häufig dann auf, wenn es in Firmen bereits zu Konflikten kommt. Dann wird Hilfe von außen geholt, um die Situation zu bewältigen. »Krisen sind Windows of Opportunity«, betont Wegleiter. Sie bieten dem Individuum wie auch dem gesamten Unternehmen die Chance, den Wert von Emotionen am Arbeitsplatz neu zu definieren. »Emotionen spielen eine wichtige Rolle in der Kommunikation. Wenn wir echte Emotionen nicht zulassen, werden Situationen oft beschönigt oder es wird um eine heikle Sache herumgeredet. Wir sollten hier mutiger sein und unsere Bedürfnisse artikulieren«, so Coach Sabine Cimen-Piglmann. Auch HR-Expertin Steffi Bärmann von der FHWien der WKW betont: »Durch das Zulassen von Emotionen bringt man die Qualität der Beziehung zwischen den MitarbeiterInnen auf eine völlig andere Ebene.«

In den vergangenen Jahren hat die Relevanz von Social Skills, die für die Emotionskultur eines Unternehmens so wichtig sind, stark zugenommen. »Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen legen bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer mehr Wert darauf«, sagt Content-Managerin Tanja Karlsböck von karriere.at. »Das geht so weit, dass viele Firmen im Einstellungsprozess Bewerberinnen und Bewerber, die auf persönlicher Ebene zum Team passen, gegenüber jenen bevorzugen, die dem Job auf fachlicher Ebene entsprechen.« Die Emotionsregulation wird damit zu einer Schlüsselkompetenz, die viele Menschen ein (Berufs-)Leben lang begleitet, so Sabine Cimen-Piglmann: »Ich kenne viele Menschen, die bis ins Alter üben müssen, geduldig zu sein.«