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studio! Ausgabe 3/2016

Cover Story: Alles auf Anfang

Ein neuer Job, eine neue Idee, eine Firmengründung: Erfolgreiche Karrieren verlaufen oft im Zickzack-Kurs. Der Neuanfang ist eine besondere Phase, die von Tatendrang und Dynamik, aber auch von Ängsten geprägt ist.

von Emily Walton

Ich war elf Jahre alt, als die Erwachsenen begonnen haben, mir das Konzept von Karriere zu erklären. Alle fragten mich, was ich im Leben einmal machen möchte«, erinnert sich Unternehmer Ali Mahlodji, heute 34 Jahre alt. Damals hatte der Junge nur einen Wunsch: Er wollte alle Menschen auf der Welt kennenlernen und sie zu ihren Jobs und ihrem Arbeitsalltag befragen. Er wollte einen echten Einblick bekommen.

Unabsehbar war, dass sein kindlicher Wunsch ihn zu einer Geschäftsidee führen würde. Nachdem Mahlodji selbst rund 40 Jobs ausprobiert hatte (von Reinigungsmann über Top-Manager in der IT bis hin zu Lehrer), lancierte er 2011 die Internetplattform Whatchado.com. Dieses Jobportal richtet sich an Menschen, die vor einem Neuanfang stehen. An junge BerufseinsteigerInnen, zum einen. Aber auch an jene, die bereits seit fünf, zehn oder gar 20 Jahren im Berufsleben stehen. Für einen neuen Job – einen Neubeginn – gibt es schließlich viele Gründe: Wiedereinstieg nach der Karenz, Arbeitsplatzverlust, Wohnortwechsel, Burn-out oder einfach Lust auf Veränderung. »Das Karrieremodell 40 Jahre im selben Betrieb‹ ist längst überholt«, sagt Mahlodji. Inzwischen sprechen auf Whatchado.com 5200 Personen in Videos über ihre Berufe und ihre Berufung – vom Bundespräsidenten bis zum Straßenmusikanten.

Vom Tischlerlehrling zum Einzelhandelskaufmann, von der Lehrerin zur Gartenarchitektin. Die meisten Karrieren verlaufen nicht geradlinig. 85 Prozent der von Whatchado.com befragten Personen haben Zick-zack-Karrieren hinter sich und somit immer wieder von vorne begonnen. »Mit 20 Jahren hat man oft andere Vorstellungen als mit 40. Ich finde, man schuldet es sich selbst, immer wieder die eigene Situation in Frage zu stellen«, sagt Mahlodji.

(c) whatchado.com

Neugierde und Ängste

Tatendrang, Hingabe und Neugierde bestimmen diese so besondere Phase des Aufbruchs. Aber auch Ängste kommen auf: Ein beruflicher Wechsel bedeutet meist, auf der Hierarchieleiter nach unten zu rutschen. War man bislang in seinem beruflichen Feld ExpertIn, gilt es nun, Handwerk und Fachwissen wieder zu erarbeiten und sich helfen zu lassen.

Nicht jeder kann mit dieser Veränderung umgehen. Gerade ältere Menschen, die über Jahrzehnte denselben Beruf ausübten, kommen mit beruflichen Umorientierungen schwer zurecht. »Ein Neuanfang bedeutet, dass drei Säulen verändert werden: die Tätigkeit, das Know-how und auch die Identität«, sagt Barbara Kump, Professorin für Organisationsentwicklung und organisationales Lernen an der FHWien der WKW. Sattelt eine Wissenschaftlerin etwa auf den Journalismus um, schreibt sie künftig mehr, anstatt zu forschen, und muss lernen, in einem anderen Ton zu schreiben. Hinzu kommt, dass sich die Reputation verändert. »Eine berufliche Veränderung ist ein Prozess, der gründlich und rechtzeitig vorbereitet werden sollte«, sagt Kump. Ähnliches gilt auch für Unternehmen, die sich neu ausrichten, denn auch hier ändern sich die drei Säulen. »Manches Mal müssen dann MitarbeiterInnen gehen, weil sie die neuen Fähigkeiten einfach nicht erlernen können und wollen.«

GründerInnen von Start-ups erleben die Dynamik einer Anfangsphase besonders intensiv. »Der Business-Plan ist geschrieben, die Entscheidung zur Gründung ist gefallen. Studien zeigen, dass die GründerInnen in dieser Phase voller Idealismus stecken. Noch hat man keine Stolpersteine zu bewältigen«, sagt Christina Schweiger, Professorin und Bereichsleiterin für Entrepreneurship an der FHWien der WKW. »Alles fließt. Man könnte auch sagen, diese erste Stunde ist die beflügelte Stunde.«

Wie lange diese Phase dauert, variiert von Unternehmen zu Unternehmen. Gründer, die eine Dienstleistung anbieten, können sich binnen weniger Monate am Markt positionieren, während jene, die komplexe Technologien entwickeln, mitunter Jahre brauchen. Zudem spielt es eine Rolle, ob es sich um originäre – also völlig eigenständige – Gründungen handelt, oder um Spin-offs bereits bestehender Unternehmen.

Heimische Neugründungen nach Branchen

(c) APA/WKÖ

Geschäftsidee aus Down Under

Constantin Simon, Absolvent der FHWien der WKW, gründete 2012 – nach einem Auslandssemester in Australien – die Nixe Brau GmbH, die sich auf innovative Biere spezialisiert hat. »In Down Under sind erfrischende Low Carb-Biere im Trend. Ich hatte während meines Auslandsaufenthalts die Idee, eine moderne österreichische Biermarke zu gründen«, sagt der 31-Jährige. Gründererfahrung hatte Simon bereits – 2010 hatte er mit Scarosso.com ein Online-Schuhlabel mit handgemachten italienischen Designerschuhen ins Leben gerufen.

Sein erstes Bier, das 2013 auf den Markt kam, hatte eine neunmonatige Vorlaufzeit. Aus seiner betriebswirtschaftlichen Erfahrung weiß Simon, dass es in der Phase des Neuanfangs nicht reicht, nur an die eigene Vision zu glauben: »Flexibilität, Entschlossenheit und schnelles Handeln sind in dieser Periode Voraussetzung.« Wer in einem Start-up mitarbeitet, muss sich damit abfinden, dass das, was heute gilt, morgen schon wieder hinfällig sein kann. Auch Rückschläge gehören am Anfang dazu.

Als Nixe-Gründer Simon merkte, dass die sehr schnelle Expansion nach Deutschland (die mit der Gründung einer eigenen Gesellschaft verbunden war) nicht den gewünschten Erfolg brachte, musste er gegensteuern. Die deutsche Gesellschaft meldete Insolvenz an, die Crowd-Investoren wurden in die österreichische Muttergesellschaft übergeleitet und mit österreichischen Anteilen ausgestattet. Simon und sein Team mussten ihre Strategie adjustieren: »Als GründerIn sollte man sich darauf einstellen, dass nie alles von A biz Z perfekt laufen wird. Umso wichtiger ist es, die Wurzel der Probleme zu suchen und so schnell wie möglich aus den Fehlern lernen.«

(c) Kevin Kuhn

Zeit für eine Kurskorrektur

Heute weiß Simon, dass er die Markteinstiegsbarrieren in Deutschland unterschätzt hat, dass das Budget zu gering war und dass er nun lieber mit Distributoren arbeitet, anstatt eine eigene Gesellschaft in Deutschland zu betreiben. Dieses punktuelle Scheitern war ein guter Anlass, über die Zukunft seiner Marke nachzudenken. »Unser Team ist im Schnitt 26,5 Jahre alt. Wir müssen nicht so tun, als seien wir ein großer Bierkonzern.« Die Bierflaschen haben in der Folge ein Redesign bekommen, die jugendliche Dynamik wird unterstrichen.

»In einem Unternehmen braucht es zur Bewältigung von Fehlern zwei Dinge: Zum einen den Tatendrang, gleich wieder von vorne etwas zu probieren – und zum anderen die genaue Fehleranalyse«, sagt Unternehmensberaterin Anita Stadtherr. Simon und sein Team haben richtig gehandelt, sich damit vor weiteren Fehlern bewahrt und Zeit gespart. »Thomas Edison ließ die Fehleranalyse außer Acht«, sagt Stadtherr. »Er kam zwar ans Ziel und erfand die Glühbirne, aber er startete 2000 Fehlversuche.«

Für UnternehmerInnen bedeutet die Anfangsphase, ständig Ideen zu verwerfen und Neues auszuprobieren. »Start-ups erleben wöchentlich, streckenweise sogar täglich, einen kleinen Neuanfang«, sagt FH-Professorin Schweiger. Unternehmer Simon vergleicht es mit der Konstruktion eines Autos: »Es ist, als tausche man die Reifen aus, während das Fahrzeug schon fährt. Es kann wackeln und natürlich ist jede Veränderung mit Risiko verbunden.« Start-ups müssen gerade zu Beginn Improvisation und kreativen Spielraum zulassen. Grundsatzentscheidungen müssen schnell getroffen werden – und dazu braucht es flache Hierarchien, informelle Kommunikationsstrukturen und eine familiäre Unternehmenskultur.

Start-ups – nichts für jedermann

Gerade wenn die erste Phase geschafft ist, kommt es oft wieder zu einem Neubeginn: Dann, wenn MitarbeiterInnen eingestellt werden. »Diese erste Wachstumsphase ist häufig eine Umstellung für GründerInnen. Sie müssen Kontrolle abgeben und Externe mit an Bord holen.« Das passende Team zusammenzustellen, kann eine Herausforderung sein. »Start-ups sind nicht für jeden geeignet. Manche MitarbeiterInnen sind in bürokratischen Unternehmen besser aufgehoben«, sagt Schweiger. Die Aufnahme neuer MitarbeiterInnen und das Einführen einiger Strukturen kann dazu führen, dass sich manch Gründer aus dem etablierten Start-up zurückzieht und ein neues Projekt in Angriff nimmt.

Constantin Simon bezeichnet sich selbst als einen Strategen. Er will Systeme aufbauen, nicht aber operativ umsetzen. »Solche Entrepreneure sind in der Lage, in der arbeitsintensiven Anfangsphase das große Ganze zu sehen, und lassen sich von Kleinigkeiten, die in jedem neu gegründeten Betrieb schief laufen, nicht aus der Ruhe bringen«, sagt Schweiger. »Zwar beteiligen sie sich am Alltagsgeschäft, aber reine Managementaufgaben halten sie nicht aus. Sobald es zu viel Struktur gibt, suchen sie sich ein neues Geschäftsfeld – um innovativ zu sein und um noch einmal von vorne zu beginnen.«

»Kein Respekt vor dem Status quo«

Von der kleinen Tischlerei in Niederösterreich zum weltweiten Ausstatter von Luxusyachten und Privatjets. Das Familienunternehmen F/LIST lebt in der Buckligen Welt den amerikanischen Traum. studio! hat bei CEO Katharina List-Nagl nachgefragt, wie es dazu kam.

Ihr Großvater betrieb in den 1950er Jahren eine Tischlerwerkstatt in Aspang. Heute führen Sie ein Dorf weiter ein weltweit gefragtes Unternehmen mit 690 MitarbeiterInnen und etwa 79 Millionen Euro Umsatz. Was braucht es dafür?

List-Nagl: Neugier, Leidenschaft und eine gehörige Portion Verrücktheit. Mein Vater, der das Tischler-Handwerk von seinem Vater gelernt hat, hatte keine Ahnung von der Luftfahrtindustrie. Er wusste aber, dass in seinem Team viel Know-how und Pioniergeist steckt.

(c) F/List

Zufall – oder steht eine ausgeklügelte Strategie dahinter?

List-Nagl: Unser Motto lautet: Geht nicht, gibt’s nicht. Wir haben keinen Respekt vor dem Status quo und machen da weiter, wo andere aufhören. Wir haben mit neuen Materialien experimentiert. Zum Beispiel hatten wir uns in den Kopf gesetzt, in Jets Steinböden zu verlegen. Eigentlich ein absurdes Unterfangen, aber wir haben es geschafft und produzieren heute in Serie.

Der Betrieb hat schon mehrere »Changes« hinter sich. Von der kleinen Tischlerei zur Unternehmensgruppe der Brüder List bis zum heute eigenständigen Unternehmen F/LIST. Wie verkraftet man diese Veränderungen?

List-Nagl: Würde sich bei uns nicht ständig etwas verändern, würde etwas falsch laufen. Der Wandel wird aber nur dann zum Erfolg, wenn die MitarbeiterInnen Teil des Prozesses sind. Wir haben unseren Change darum auch sehr bewusst gestaltet.

(c) F/List

Sie führen den Familienbetrieb nun in dritter Generation. Wie groß sind die Fußstapfen Ihres Vaters, der lange an der Spitze stand? Kann er loslassen?

List-Nagl: Unsere Fußstapfen unterscheiden sich – das ist aber keine Frage der Größe, sondern wir haben einfach unterschiedliche Füße (lacht). Auf jeden Fall habe ich sehr großen Respekt vor den Leistungen meines Vaters, vor allem vor seinem Zugang zu den Menschen und seiner grenzenlosen Neugier. Kein Tag, an dem er nicht durch die Werkshallen geht und mit jedem Einzelnen Schmäh führt. Kein Tag, an dem er nicht an neuen Ideen tüftelt. Aus dem Alltagsgeschäft hat sich mein Vater aber weitgehend zurückgezogen. Es ist ein softer Generationswechsel.

Sie haben selbst kleine Kinder. Denken Sie, dass dies die vierte Generation im Unternehmen wird?

List-Nagl: Für mich war es durchaus keine ausgemachte Sache, in den Betrieb einzusteigen. Ich war im Ausland und in meinem ursprünglichen Job sehr glücklich. Irgendwann hat mich dann doch die Leidenschaft für unser Geschäft gepackt. Wohin es meine Kinder zieht, wer weiß. Querdenker und kleine Rebellen nach List-Art sind sie auf jeden Fall.

 

Katharina List-Nagl, 35:
CEO von F/LIST in Thomasberg, Niederösterreich, einem global agierenden Hersteller von Innenausstattung für Business- und Privatjets, Mega-Yachten und luxuriöse Wohnräume mit 690 MitarbeiterInnen. Das österreichische Familienunternehmen setzt Maßstäbe in der innovativen Verarbeitung von Materialien wie Holz, Stein, Leder oder Carbon. Die Kunden von F/LIST kommen aus aller Welt – von Kanada über Brasilien bis zur Schweiz. Der ehemals kleine Tischlerbetrieb verzeichnet heute einen Umsatz von 79 Millionen Euro.