Zum Hauptinhalt springen
studio! Ausgabe 1/2016

Im Interview: Stefan Sagmeister – „Mein Beruf ist immer noch meine Berufung“

Stefan Sagmeister ist Österreichs wichtigster Design-Export: Der Vorarlberger hat mit seinem Studio in New York Design weltweit geprägt. Alle sieben Jahre nimmt er sich davon eine Auszeit. Im studio!-Interview erzählt er, wie das sein Leben und seine Arbeit verändert hat.

von Andrea Heigl

Alle sieben Jahre schließen Sie Ihre hocherfolgreiche Design-Firma, um sich ein Jahr frei zu nehmen. Empfehlen Sie das nur Menschen, die ihr Geld mit Kreativität verdienen? Oder auch jemandem mit einem ganz »normalen« Job?

Sagmeister: Ich denke, es funktioniert am besten für Menschen, die in ihrem Job frische Ideen brauchen – und das gilt natürlich nicht nur für Menschen in der Kreativindustrie. Ich habe eine Reihe von Vorträgen zu dem Thema gehalten, und das Feedback von Dutzenden Menschen war: Ich mach’ das jetzt auch. Alle waren sehr enthusiastisch! Ich habe kleine, mittlere und große Firmen erlebt, die es uns nachgemacht haben, die Ergebnisse waren immer exzellent. Meiner Erfahrung nach ist es mitunter beängstigend, so etwas zu planen – und es ist ein erhebendes Gefühl, es dann wirklich zu tun.

Ihr letztes Sabbatical haben Sie in Bali verbracht – wo Sie die ganze Zeit designt haben. Ein Designer zu sein, ist das für Sie Beruf oder Berufung?

Sagmeister: Das war das größte Geschenk, das mir die Sabbaticals gegeben haben: Nach all diesen Jahren sehe ich meinen Beruf immer noch als Berufung, nicht bloß als Karriere oder Job. Wie das bei großen Entscheidungen im Leben so ist, gab es eine Reihe von Gründen, um das erste Sabbatical zu machen: Ich wollte einerseits die Routine und Langeweile bekämpfen. Andererseits kann ich Projekte vielfältiger gestalten, wenn ich mehr Zeit habe, sie zu planen.

Ich hatte schon die Erwartung, dass die Auszeit schön und erbaulich werden würde. Was ich nicht erwartet hatte, war, dass die Sabbaticals die gesamte Ausrichtung des Studios verändern würden. Und ich habe schon gar nicht zu hoffen gewagt, dass die Sabbaticals finanziellen Erfolg bringen würden – aber das taten sie. Ich muss zugeben, dass es mir Angst gemacht hat, als ich 1999 das erste Sabbatical genommen habe. Unser Designstudio war damals sieben Jahre alt, der erste Internetboom war in vollem Gange und alle in der Branche haben jede Menge Geld verdient. Es wirkte vermutlich unprofessionell, das Studio für ein Jahr zu schließen, um verschiedenste Dinge auszuprobieren.

(c) John Madere

Wie haben Sie sich an ein Leben ohne Kunden und Deadlines gewöhnt?

Sagmeister: Ich hatte während der gesamten Zeit einen klaren Tagesplan, und ich hatte auch gar nicht den Wunsch, die Arbeit komplett einzustellen. Eigentlich arbeite ich während der Sabbaticals sogar mehr als in »normalen« Jahren. Mit dem Unterschied, dass ich nicht für Kunden arbeite. Stattdessen verfolge ich kleine Experimente, die möglicherweise Ergebnisse bringen, von denen die Kunden in den darauf folgenden Jahren profitieren.

Hielten Sie die Leute in Ihrer Umgebung für verrückt – oder waren sie eifersüchtig?

Sagmeister: Die Standard-Reaktion unserer Kunden war: Ich würde das liebend gern selbst machen!

Hatten Sie nach diesem Jahr Schwierigkeiten damit, wieder in das »normale« Leben zurückzufinden?

Sagmeister: Überraschenderweise nicht. Vor meinem ersten Sabbatical hatte ich allen erzählt, dass ich das möglicherweise für ein oder zwei Jahre machen würde. Während des ersten Jahres wurde mir rasch klar, dass dieses eine Jahr genügt. Nach dieser Zeit habe ich mich darauf gefreut, in meinen Alltag zurückzukehren.

(c) MAK/Aslan Kudrnofsky

Unternehmen wie Google haben Büros, die wie riesige Spielplätze aussehen, um die Kreativität und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter zu erhöhen. Denken Sie, dass das funktioniert?

Sagmeister: Das hat natürlich auch eine andere Seite: Viele Mitarbeiter von Google und Co arbeiten deutlich mehr als acht Stunden pro Tag, weil sie eben in ihrem Büro auch essen, spielen oder entspannen können. Diese höhere Arbeitszeit erhöht in Summe die Produktivität. Ich kenne keine exakten Zahlen dazu, aber natürlich muss man dazu sagen, dass die vier großen Unternehmen der amerikanischen Westküste, die diese Form von Arbeitsumgebung anbieten – Google, Facebook, Apple und Amazon – die Triebfeder der amerikanischen Wirtschaft sind.

Was ist Ihnen in Ihrer täglichen Arbeitsumgebung wichtig?

Sagmeister: Vor allem Menschen, mit denen ich gerne Zeit verbringe. Eine schöne Aussicht in die Ferne wäre wundervoll, aber die habe ich derzeit leider nicht.

Als Chef einer Kreativ-Firma: Welchen Rat haben Sie für andere Arbeitgeber, um ihre Mitarbeiter zufrieden zu machen?

Sagmeister: Ich bezweifle, dass andere Unternehmer meinen Rat brauchen. Eine Sache kann ich vielleicht sagen: Kreiert ein Arbeitsumfeld, in dem gute Arbeit möglich ist, in der sie in die Realität umgesetzt werden kann – und schließlich honoriert wird.

(c) MAK/Aslan Kudrnofsky

Wien hat den Ruf, die Welthauptstadt der grantigen Menschen zu sein. Wie waren die Reaktionen auf die »Happy Show«, die die letzten Monate im Museum für Angewandte Kunst (MAK) gelaufen ist?

Sagmeister: Ehrlich gesagt hatte ich von den Wienern schon Zurückweisung erwartet. Aber das Gegenteil war der Fall: Die »Happy Show« ist die meistbesuchte Ausstellung in der 150-jährigen Geschichte des MAK. Und ich bekomme jeden Tag Post von Besuchern.

Sie sind viel durch die Welt gereist, haben an unterschiedlichsten Orten gelebt. Ihr Tipp: Wo findet man die glücklichsten Menschen der Welt?

Sagmeister: Meine persönlichen Erfahrungen unterscheiden sich sehr von den Zahlen, die Forscher publizieren. In internationalen Glücksstudien liegen oft Länder wie die Schweiz oder Dänemark in Führung. Mein eigener, unwissenschaftlicher Eindruck wäre eher, dass in Kuba und Brasilien viele glückliche Menschen leben. Ich denke, die Frage der Sicherheit und das Vertrauen in die Zukunft spielen für die Menschen eine wichtige Rolle für ihr persönliches Glücksgefühl.

Was haben Sie während Ihres nächsten Sabbaticals vor?

Sagmeister: Ich werde drei unterschiedliche Orte bereisen und hoffe, dass sie alle einen Einfluss auf mein Denken und meine Kreativität haben werden. Die ersten vier Monate werde ich in Mexiko City sein, dann vier Monate in Tokio und die letzten vier Monate möchte ich in einem kleinen Dorf in den österreichischen Alpen verbringen.

(c) Stefan Sagmeister