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STUDIO! Ausgabe 2/2021

Von Start-ups, Pubs und Knödelgrieß

Renate Schnutt wagte den beruflichen Sprung ins Ausland, um für die Wirtschaftskammer österreichische Start-ups in London zu betreuen. »Meine beste Entscheidung«, sagt sie – nur eine Kleinigkeit fehlt …

Text: Dirk Brichzi

Die erste Einladung in ein Londoner Pub nach dem Lockdown hat Renate Schnutt erst einmal abgelehnt. »Es hatte geschneit und wir hätten draußen sitzen müssen«, sagt sie lachend, »da habe ich nur gedacht: no way!« Überhaupt gehören Pub-Besuche für sie nicht zu den Attraktionen des Lebens in Großbritannien. »Der Geräuschpegel ist sehr hoch, weil alle irgendwann nur noch schreien. Ein normales Gespräch kann man dabei kaum führen«, so Schnutt. Dabei sind Gespräche ein grundlegender Teil ihrer Arbeit, seit sie Anfang 2018 von Österreich nach London zog, um bei Advantage Austria zu arbeiten, in einem der 100 Stützpunkte der Außenwirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Seit Ende 2019 ist Schnutt »Head of Startup and Innovation Programmes«. Ihre Tätigkeit beschreibt sie so: »Ich helfe Start-ups aus Österreich, hier Fuß zu fassen, ihre Geschäftsmodelle dem neuen Markt anzupassen und Kontakte zu Investoren herzustellen.«

© David Leißer

Riskiert und gewonnen

Als das Angebot von »Advantage Austria« auf dem Tisch lag, musste sich die Absolventin des Bachelor- und des Master-Studiengangs im Bereich Tourismus-Management an der FHWien der WKW schnell entscheiden. Sollte sie, deren Karriere immer von Sicherheit geprägt war, den Sprung ins Ausland wagen? »Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben im Beruf ein Risiko eingegangen«, sagt sie, »und ich habe es keinen Moment bereut. Das war die beste Entscheidung.«Zuvor hatte Renate Schnutt mehrere Stationen in der Marketing- und Kommunikationsbranche in Österreich absolviert. Wahrscheinlich wäre es so bis zur Pension weitergegangen. Schnutt gönnte sich jedoch eine Auszeit, gestaltete das Frauenvolksbegehren 2.0 maßgeblich mit und verbrachte viel Zeit in den USA. Dort kamen dann Fragen auf. Was will ich? Was vertrete ich? Werden meine Ideen umgesetzt? »Man darf nicht vergessen, dass ich damals in der Wirtschaftskrise 2008 in das Berufsleben gestartet bin«, sagt Schnutt. »Da hieß es nur: ›Nimm, was du kriegen kannst! Hinterfrage nichts!‹ Vielleicht war es jetzt einfach an der Zeit, mir mein bisheriges Denken auszutreiben und aus den gewohnten Bahnen auszubrechen.« Also auf nach London!

 

© AußenwirtschaftsCenter London

Man muss sich nur trauen

Nach über drei Jahren auf der Insel kehrt Schnutt im Sommer für den nächsten Karriereschritt als Head of ScaleUps innerhalb der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA nach Wien zurück. Sie würde jedem dazu raten, früher oder später den Sprung ins kalte Wasser zu wagen: »Man macht so viele Sachen aus Angst heraus nicht. Aber wenn man sich etwas traut und im Anschluss darauf zurückblickt, wie man sich beruflich und persönlich entwickelt hat, war es das Risiko allemal wert.« Auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen und bereit sein zu lernen – das sei die richtige Einstellung. Die Job-Ausschreibung für die Stelle in London habe gar nicht so sehr auf sie und ihren Werdegang gepasst. Trotzdem hat sie sich erfolgreich beworben. »Ich erlebe es auch bei den Start-ups immer wieder, dass Frauen erst glauben, etwas erreichen zu können, wenn es tausendprozentig passt. Dabei sollten sie sich viel mehr zutrauen, auch bei beruflichen Schritten«, so Schnutt.

Lernen musste sie in London zum Beispiel die Nuancen der Kommunikation. Mit Schulenglisch kam sie beim Knüpfen von Geschäftskontakten nicht weit. Zudem stellte sie schnell fest, dass die Briten zwar freundlich und pragmatisch, aber nicht unbedingt offen sind. Mittlerweile kann sie auf ein großes Netzwerk und viel Erfahrung zurückgreifen, um Start-ups aus Österreich auch in Zeiten von Corona und dem Brexit zu unterstützen.

Britische Freiheiten

Apropos Brexit: Auf manche Dinge kann Schnutt als Waldviertlerin einfach nicht verzichten. Zum Beispiel auf den Grieß für die Kartoffelknödel, der in London einfach nicht aufzutreiben ist. So muss er importiert oder nach Heimatbesuchen mitgebracht werden. Ansonsten genießt sie viele Vorzüge des britischen Lebensstils: die langen, fast schon exzessiven Spaziergänge, ihren Wohnort in Putney – ein malerisches Viertel im Süden Londons – und im Beruf die vielen Möglichkeiten und das andere Denken, den freieren Geist: »Das habe ich sehr zu schätzen gelernt und möchte ich nicht mehr missen.«

Perfekten Ausgleich zu ihrer Arbeit findet sie übrigens bei Pilates: Noch in Wien hatte sie den Sport für sich entdeckt und eine Trainerausbildung gemacht, nun gibt sie mehrere Stunden die Woche Online-Kurse für KollegInnen und Bekannte in London. Als kleinen PR-Gag kündigte sie zudem einen Online-Kurs an der Volkshochschule ihres Heimatortes Zwettl an. Die Bezirkszeitungen griffen das auf – und der Kurs war schnell ausgebucht.

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