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studio! Ausgabe 4/2016

Cover Story: Erfolgreich verwurzelt

Wirtschaftszweig Tradition: Wer mit österreichischem Kulturgut Geschäfte macht, trägt eine große Verantwortung. Das Erfolgsgeheimnis liegt in der guten Vermarktung von Kitsch und Klischees und im richtigen Mix aus Tradition und Moderne.

von Emily Walton

Bevor Österreichs Star-Designerin Lena Hoschek an der Nähmaschine saß, spielte sie auf dem Dachboden: »Als Kind habe ich es geliebt, Entdeckungsreisen im Haus meiner Oma zu machen. Auf dem Dachboden gab es viele alte Dirndl, die ich anprobieren durfte«, sagt die Steirerin. Gemeinsam mit der Großmutter fertigte Magdalena schon als junges Mädchen neue Röcke zu alten Dirndl-Oberteilen, die Stoffe durfte sie selbst aussuchen, die Oma zeigte ihr das Handwerk. »Man muss dazu sagen, dass damals kein Teenager freiwillig ein Dirndl angezogen hätte«, erinnert sich die Modedesignerin.

Mittlerweile ist aus dem Zeitvertreib, der Oma und Enkelin verband, eine erfolgreiche Karriere als Modemacherin geworden. 2005 gründete Hoschek mit 24 Jahren ihr eigenes Modelabel, 2009 expandierte sie nach Deutschland. Die Designerin ist bekannt für ihre Vintage-inspirierte Mode mit auffälligen Prints – aber auch für ihr Trachtenlabel »Tradition«. Eine Kollektion, mit der sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, »Dirndl mit traditioneller Handarbeit überhaupt weiterhin verfügbar zu machen.

(c) Agnes Stadlmann

Verkaufsargument Authentizität

Ursprüngliches zu erhalten und dabei dennoch zeitgemäß zu sein, ist eine Herausforderung, der sich alle Unternehmen stellen, die Tradition vermarkten. Eine wichtige Branche ist neben der Mode der Tourismus. »Im Kulturtourismus geht es stark darum, traditionelles Erbe zu bewahren«, sagt Alexander Keil, stellvertretender Direktor der Schloss Schönbrunn Kultur- u. Betriebsges.m.b.H, zu der neben dem Schloss Schönbrunn auch die Hofburg Wien, das Hofmobiliendepot und Schloss Hof zählen. Als das Schönbrunn-Management Anfang der 1990er Jahre privatisiert wurde, kamen vielerorts Befürchtungen auf, die Sehenswürdigkeit könnte sich in eine Disneyland-artige Attraktion wandeln. »Wir haben diesen Erlebniswelten aber voraus, dass wir hier in Österreich die Originale haben. Wir müssen keine Pappfassaden aufstellen«, sagt Keil, der auch an der FHWien der WKW unterrichtet.

(c) Schloss Schönbrunn

Als Leitbild sieht er eine Waage: Auf der einen Seite steht das Erhalten, auf der anderen Seite das Vermarkten. Authentizität ist ein gewichtiges Schlagwort. In den Prunkräumen von Schönbrunn kann man davon praktisch nicht abweichen, dort ist alles ursprünglich. Schwieriger wird es im Shop, der eine wichtige Einnahmequelle ist. Lange haben die Verantwortlichen hier nach dem richtigen Mix gesucht: »Es ist schwierig, denn Kitsch ist subjektiv«, sagt Keil. Die einen finden Franz-Joseph-Unterhosen kitschig, für die anderen sind Sissi-Badeenten geschmacklos. Schönbrunn kommt ohne diese Souvenirs aus, Bestseller sind klassische Kühlschrankmagnete, gefolgt von Brokatdeckchen. Der Weihnachtsmarkt vor dem Schloss wird extern betrieben. Die Entscheidung für die Agentur »MTS Marketing« fiel auch, weil diese Wert auf Handwerk legt, anstatt die Buden mit Riesenstofftieren und Modeschmuck zu füllen.

Billiger Plastikschnickschnack passt nicht zum Geschäft mit der Tradition, weder im Souvenirregal noch an der Kleiderstange, findet auch Designerin Lena Hoschek: »Kitsch, zum Beispiel im Heimatfilm, ist keineswegs schlecht. Aber er wird für mich zum Graus, wenn es um Polyesterdirndl geht, die aussehen wie ein Faschingskostüm und mit einer Tracht nichts mehr zu tun haben. Rosa, Lila, Glitzer – einfach nur grauenvoll.« Die Kleider aus dem Hause Hoschek werden aus hochwertigen Materialien hergestellt, die Designerin verwendet Trachtenstoffe aus der ganzen Welt. »Dass daraus dann Traditionelles mit modernem Touch entsteht, finde ich ganz toll«, sagt Hoschek. Diese Verbindung schreibt die Steirerin auch ihrer Persönlichkeitsmischung zu: »Als ich zum Beispiel als Teenager in England war, habe ich mein ganzes Taschengeld für einen alten Teddy und Spitzen ausgegeben, gleichzeitig habe ich auch gerne Punkmusik gehört.«

(c) Schloss Schönbrunn

Spagat zwischen Sissi und Songcontest

Apropos Kostüme: Buden, bei denen sich BesucherInnen verkleiden und fotografieren lassen können, gibt es bei vielen Attraktionen. »Fotografen haben uns die Türen eingelaufen«, erinnert sich Keil an die Neunzigerjahre. Allen hat man eine Absage erteilt. Auch StudentInnen, die im Pseudo-Sissi-und-Franzl-Outfit Flyer verteilen, sucht man vor Schönbrunn vergebens. Wien Tourismus-Geschäftsführer Norbert Kettner schreckt vor solchen Marketingstrategien ebenso zurück (siehe Interview). In der Hofburg betreibt die Schönbrunn GmbH ein Sisi Museum (bewusst mit einem s geschrieben, sowie sich die Kaiserin selbst schrieb), das sich der »echten« Elisabeth widmet und der »Romy-Schneider-Sissi« wenig Platz einräumt.

Dabei wäre die Film-Sissi durchaus ein Publikumsmagnet, besonders bei der asiatischen Zielgruppe, die für den Wiener Tourismus immer wichtiger wird. Von 2011 bis 2015 haben sich sowohl die Nächtigungen aus China wie auch aus Südkorea mehr als verdoppelt. Gäste aus Asien werden stark von der traditionellen österreichischen Kultur angezogen. »Wien als romantische Kulturhauptstadt hat dort einen hohen Bekanntheitswert, während über die Popkultur und den Alltag wenig bekannt ist«, sagt Kettner.

Hat man die Aufmerksamkeit für Wien aber geweckt, kann man die Gäste für andere Seiten der Destination begeistern. In der »Strategie 2020« zielt Wien-Tourismus darauf ab, die Hauptstadt als kosmopolitische Metropole mit hoher Lebensqualität in Szene zu setzen und als Kultur-, Wissens- und auch Kongressstadt zu positionieren. Auch einmalige Veranstaltungen wie etwa der Songcontest, der 2015 in Wien ausgetragen wurde, bringen Österreich auf das Radar potenzieller TouristInnen. Ein Event dieser Art kann aber nicht zu einer wirklichen Positionierung der Destination beitragen. »Der Songcontest ist nur eine Perle auf einer Perlenkette«, sagt Kettner. Die Veranstaltung kann etwa mithelfen, Wien als Eventstadt zu vermarkten. Ein Ziel, das Wien-Tourismus-Manager Kettner verfolgt. »Wir haben die Infrastruktur und die Eventhallen. Ich wünsche mir, dass wir im Eventbereich das werden, was wir im Kongressbereich bereits sind.« Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Kongresse in Wien mehr als verdoppelt.

»Kitsch ist keine gute Basis«

Norbert Kettner ist seit neun Jahren Geschäftsführer des Wien-Tourismus. Im studio!-Interview spricht er über Wiener Höflichkeit, Fiakerfahrten und neuronale Dosenöffner.

Herr Kettner, gibt es so etwas wie Traditionstourismus?

Kettner: Nein, man kann Tradition nicht zu einem Genre machen. Vielmehr ist Tradition eine Standortbestimmung, ein Begriff, der Herkunft beschreibt. Denke ich an Wien, fallen mir in Sachen Tradition Assoziationen wie Hauptstadt, zentraleuropäisches Erbe, leben und leben lassen, barocker Lebenszugang und Schlampigkeit im Guten wie im Bösen ein. Es sind Eigenschaften wie diese, die die Benutzeroberfläche der Stadt bestimmen. Vor wenigen Tagen habe ich eine Dame aus Hamburg getroffen. Sie lobte an Wien, dass man hier immer »Bitte« und »Danke« hört. Der sanftere Umgang miteinander, das ist für mich ein Beispiel für eine relevante Wiener Tradition.

Lässt sich Wien auch über Klischees – zum Beispiel Klimt, Strauss oder Fiakerfahrten – vermarkten?

Kettner: Wenn wir in einem Bereich in der Weltliga spielen, sollten wir das nicht in Frage stellen, sondern tunlichst pflegen, aber eben auch ergänzen. Wiens Ruf als gediegene, imperiale und kulturelle Stadt ist ein neuronaler Dosenöffner für andere, zeitgenössische Themen. Dass wir uns zum Beispiel als Klimthauptstadt positionieren, ist wichtig. Wichtiger aber ist für mich das, was eine reife Destination auszeichnet. Die Skandinavier sind ein gutes Vorbild. Sie vermarkten Historie und Tradition mit einem Augenzwinkern. Sie machen sich immer ein wenig über sich selbst lustig. Dieser Ansatz, der unverkrampfte Umgang mit der Historie, gefällt mir. Sie werden daher bei unseren Aktivitäten keine verkleidete Sissi finden. Stattdessen haben wir kürzlich eine Digital-Kampagne gestartet, in der ein fiktiver Urururenkel von Kaiser Franz Joseph I. in der Jetztzeit lebt. Klischees und Kitsch per se sind nicht schlimm, aber sie dürfen nicht Basis für Destinationsarbeit sein.

Wo legen Sie die Basis?

Kettner: Wir haben eine sehr aufwendige Markenanalyse betrieben und sind dabei stark in die Markt- und Hirnforschung gegangen. 90 Prozent der Kaufentscheidungen werden emotional entschieden. Wir zählen unseren Kunden daher nicht auf, wie viele Schlösser wir haben, sondern vermitteln, was ein Besuch in ihnen auslösen kann. Wir stellen die Genussmomente in den Vordergrund. Wichtig ist uns dabei auch, klassische Themen in breitere Formate zu übersetzen. Das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker haben wir in vier Städten auf einer Leinwand als Kulturpicknick ausgetragen. Es ist wichtig, niederschwellig zu sein – allerdings nur in der Vermittlung, nicht im Content. Es braucht keine verblödete Werbung und primitive Botschaften.

Liegt es auch in der Verantwortung von Wien-Tourismus, Traditionen zu schützen?

Kettner: Wir müssen das kulturelle Erbe pflegen, sonst wird es dieses morgen nicht mehr geben. Derzeit gibt es eine rege Diskussion über Fiaker, sie stehen für Wien wie wenig anderes. Es ist eine populistische Debatte. Es gibt genügend Gutachten, die belegen, dass die Pferde gut behandelt werden. Würde man sie verbieten, wäre die Stadt kein bisschen tierfreundlicher, aber würde ein wichtiges, kulturträchtiges Asset verlieren. Es ist unsere Rolle, die Stadt bunt zu halten und uns für Traditionen einzusetzen, die Sinn machen. Das Wiener Kaffeehaus zum Beispiel steht exemplarisch für den Wiener Weg des sozialen Zusammenhalts. Es gibt wenige Städte, in denen der Uni-Professor neben dem Arbeiter sitzt und die Hofratswitwe neben dem Studenten. Darauf ist Wien zu Recht stolz.

Welche Traditionen entstehen heute für die Zukunft?

Kettner: Spontan fällt mir der Life Ball ein oder das Filmfestival auf dem Rathausplatz. Und sicherlich kreieren wir auch laufend Traditionen, bekommen es aber gar nicht mit.

Keine Showeinlagen

Mit 80.000 Nächtigungsgästen pro Jahr zählt die Gemeinde Hallstatt im Salzkammergut zu den Lieblingsdestinationen in Österreich. Eine derartige Beliebtheit birgt die Gefahr, dass Traditionen kommerzialisiert werden und der Charme des Ortes hinter den Touristenmassen verschwindet.

Im Inneren Salzkammergut – hierzu zählen die Gemeinden Bad Goisern, Gosau, Obertraun und Hallstatt – weiß man die Traditionen jedenfalls zu wahren. »Hier in der Region ist die Vereinsmentalität sehr hoch«, sagt Pamela Binder, Direktorin des Tourismusverbands Inneres Salzkammergut. »Die Mitglieder organisieren die Veranstaltungen wann und wie sie wollen, sie machen es für sich selbst und die anderen Bewohner. Daher wird es bei uns nie jeden Tag um zwölf Uhr eine Showeinlage auf dem Marktplatz geben.«

Die 7000 Jahre alte Geschichte Hallstatts ist Anreiz genug. Gerade in der Hochsaison stößt der kleine Ort an Grenzen. »2016 hatten wir vier Stoßtage mit jeweils rund 2300 Besuchern. Es gab logistische Probleme«, sagt Binder. Man versucht mehr Gäste zu werben, die über Nacht bleiben, und will den Verkehr entlasten. Künftig sollen etwa die öffentlichen Busse regelmäßiger fahren und die Parkgebühr für Reisebusse erhöht werden. »Es gilt nicht, den Besucherzustrom abzuwenden, sondern besser zu lenken«, sagt Binder. »Wir dürfen außerdem nicht vergessen, dass der Tourismus Arbeitsplätze bringt und eine Nahversorgung garantiert, die nicht selbstverständlich ist für eine 790 Einwohner-Gemeinde.«

(c) Viorel Munteanu