Zum Hauptinhalt springen
M!LK Ausgabe 2 | 2025

Letzte Chance!

Limited Editions verführen KundInnen zu Impulskäufen: Eine geniale Methode, um Kaufbegehren auch dort zu wecken, wo ursprünglich gar kein Bedarf war.

Text: Karin Cerny

In den späten Nullerjahren gab es ein spannendes Business-Modell zu beobachten: Jugendliche wurden zu Resellern von gehypten Sneakern. Sie übernachteten in Schlafsäcken vor angesagten Turnschuhläden. Denn wenn ein sogenannter Drop anstand, wollten sie rechtzeitig zuschlagen, um das seltene Stück anschließend zu einem noch höheren Preis im Internet anzubieten. Labels wie Adidas oder Nike setzten dabei auf die einfache, aber wirksame Formel: Hype + Limitierung = Kassenerfolg.

US-Rapper Kanye West diente mit seinen Yeezy-Modellen als Blaupause: Der „Air Yeezy 2“ kostete im Einkauf 200 Euro – mit etwas Geschick konnte man ein Paar jedoch um 10.000 Euro weiterverkaufen. Mittlerweile hat sich Ye, wie sich der Rapper heute nennt, durch viele Skandale ins Off geschossen – und Yeezy-Turnschuhe werden auf Vintage-Plattformen billig verschleudert.

© PR Louis Vuitton

Millionen für gehypte Sneaker

Sneaker zum Preis eines Luxusautos? Die limitierte Kollektion des „Air Force 1“ im Rahmen der Kollaboration Louis Vuitton x Nike entwarf der Designer Virgil Abloh kurz vor seinem Tod 2021. Die ganze Kollektion von 200 Stück wurde für 25,3 Millionen US-Dollar versteigert. Die Schuhe kosteten ursprünglich 2.000 US-Dollar pro Paar.

Der ärgste Sneaker-Hype ist vorbei. Mittlerweile meldet man sich digital für „Raffles“ an. Oder man lauert am Computer und shoppt in den Sekunden nach Freischaltung, wie gerade bei der Adidas-Kooperation mit dem gefeierten US-Designer Willy Chavarria, die sofort ausverkauft war.

Den Jagdinstinkt wecken

Die Beispiele zeigen: Limitierung ist ein wirkmächtiges Marketing-Instrument. Sie setzt den menschlichen Jagdinstinkt in Gang und zugleich die Vernunft außer Kraft. Niemand braucht das zehnte Paar Turnschuhe. Doch ist es schwer zu kriegen, wollen es viele trotzdem. FOMO stellt sich ein, die berühmte „Fear of missing out“. Wer den Hype verpasst, gehört nicht zu den Coolen.

„Scarcity Principle“ lautet der entsprechende wissenschaftliche Begriff. Geprägt hat ihn der US-amerikanische Psychologe und Marketing- Experte Robert Cialdini 1984 in seinem Bestseller „Influence: The Psychology of Persuasion.“ Cialdini erkannte: Für gefühlte Exklusivität sind KundInnen nicht nur bereit, mehr zu zahlen, sondern auch, erheblichen Mehraufwand zu betreiben. Belohnt werden sie dafür mit einem Wir-Gefühl: BesitzerInnen erkennen sich auf der Straße, im Club, auf Instagram oder – wenn sie jünger sind – auf dem Pausenhof.

Drops

Limitierte Produkte werden kurzfristig und gezielt angeboten („gedroppt“), um maximale Aufmerksamkeit und einen Kaufrausch zu erzeugen.

Raffles

Raffles (auf Deutsch: „Verlosungen“) sind eine Verkaufsmethode für stark limitierte Produkte wie Sneaker. Statt sie nach dem „First come, first served“- Prinzip anzubieten, werden die Kaufrechte verlost.

Editionen

Der Kunstmarkt erzeugt seit Jahrhunderten bewusst Exklusivität: Druckgrafik-Editionen gelten als umso wertvoller, je geringer die Auflage ist. Um das zu markieren, werden Drucke durchnummeriert und Druckvorlagen (z. B. Druckplatten bei Radierungen oder Holzschnittplatten) nach Fertigstellung vernichtet. Heute wird der Begriff „Editionen“ auch für andere Produkte verwendet.

H&M: Exklusivität en masse

Auch die Textilindustrie pusht mit dieser Methode den Verkauf: Fast-Fashion-Produzent H&M verlangt im Zuge seiner limitierten Kooperationen mit Star-DesignerInnen hohe Preise für günstig produzierte Teile. Von Karl Lagerfeld über Isabel Marant bis zu Glenn Martens, der jüngst zum Kultlabel Maison Margiela gewechselt ist: Fast alle Top-DesignerInnen haben für H&M entworfen. So stellt der Konzern auch KundInnen, die sich High Fashion nicht leisten können, ein Stück vom Modekuchen in Aussicht. Bedingung: Sie stehen am Launch-Termin früh auf und warten dann geduldig vor der Filiale.

Film- und Popstars befeuern den Hype. Die berühmte „Birkin Bag“ von Hermès gilt nicht nur deshalb als It-Tasche, weil sie schwer zu bekommen ist. Designt wurde sie 1984, weil die britische Schauspielerin Jane Birkin medienwirksam monierte, dass es keine Taschen für junge Mütter gebe.

© Yvette Religioso-Ilagan/CC BY 2.0

Illy: Rezept für den Kaffee-Hype

Aber reicht es, Dinge in geringer Stückzahl zu produzieren, um sie erfolgreich zu verkaufen? Nein. Denn um einen Hype auszulösen, müssen Firmen geschickt Aufmerksamkeit erzeugen, sei es in den sozialen Medien oder im Supermarkt. Etablierte Marken tun sich leichter: Wenn eine Eis-Marke im Sommer eine neue Geschmacksrichtung anbietet, werden KundInnen, die mit dem Grundprodukt zufrieden sind, auch die Neuheit probieren. Noch eher tun sie das, wenn die vertraute Packung durch ein leuchtendes Extra ins Auge sticht.

Wenn es sich nicht gerade um Eiscreme handelt, können limitierte Editionen auch zu Sammlerobjekten werden. Ein bekanntes Beispiel sind die von KünstlerInnen gestalteten Kaffeetassen der „illy Art Collection“. Doch auch hier nahm die Firma Geld in die Hand, um den Hype zu triggern. Kooperationen mit Celebrities oder Kunstschaffenden kosten – ebenso wie gezieltes Marketing.

NFTs: Exklusive Sackgasse

Ein skurriler Sonderfall limitierter Editionen sind NFTs (Non-Fungible Tokens). Diese digitalen Kunstwerke boomten während der Pandemie. Erworben und gespeichert wurden sie wie Kryptowährungen via Blockchain. Kleine, lustige Bildchen, etwa von digitalen Punks, erzielten Millionenpreise. Doch jüngste Untersuchungen zeigen: Über 70.000 Kollektionen sind praktisch wertlos. Der Durchschnittspreis eines Kunst-NFTs lag 2021 bei rund 2.000 US-Dollar. Heute sind es noch etwa 645 Dollar – Tendenz fallend. Trotzdem profitierten einige Institutionen von diesem Trend. So hat das Belvedere 2022 Gustav Klimts berühmtes Gemälde „Der Kuss“ als NFT-Drop angeboten und damit gutes Geld verdient – allerdings wurde das Museum für diesen Schachzug auch heftig kritisiert.

Zu guter Letzt noch die Frage: Kommt denn Knappheit in unserer Überflussgesellschaft auf natürliche Weise gar nicht mehr vor? Die Antwort lautet – doch, natürlich: Diamanten und Gold, Steinpilze und Kaviar gab und gibt es von Natur aus selten – schon deshalb definiert der Mensch sie als wertvoll. Gold ist ein passendes Stichwort. Denn das Merkmal eines wahrhaft exklusiven Produktes ist neben seiner Seltenheit auch die hohe Materialqualität. Nur dann kann Exklusivität nach dem kurzen Hype zu langfristiger Wertsteigerung führen – die in Zukunft auch die Kinder und Kindeskinder der KäuferInnen freut.