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M!LK Ausgabe 2 | 2025

Coverstory: Darf’s ein bisserl mehr sein?

Vom Marktstand zur Mall. Von der Online-Plattform zur personalisierten Produktempfehlung. Die Art, wie wir verkaufen, ändert sich ständig. Doch eins bleibt immer gleich: Um Erfolg zu haben, braucht es mehr als ein gutes Produkt.

Die Kunst des Verkaufens

Verkaufen ist mehr als Überzeugen – es ist Zuhören, Gestalten und manchmal Widersprechen. In unserer Coverstory treffen drei ganz unterschiedliche Positionen auf ein gemeinsames Ziel: Sales neu denken.

Text: Maya McKechneay

70 %
von Kaufentscheidungen sind emotionale Entscheidungen.
Ca. 2500 v. Chr.
wird der älteste erhaltene Kaufvertrag der Welt datiert.

Quelle: inc.com/logan-chierotti/harvard-professor-says-95-of-purchasing-decisions-are-subconscious.html

Verkaufen liegt in unserer DNA. Der älteste dokumentierte Kaufvertrag ist eine über 4.500 Jahre alte Tontafel aus Mesopotamien (siehe Bild). Und auch die Bibel ist – Stichwort 30 Silberlinge – voll von mehr oder weniger glücklichen Geschäften.

Doch machen wir einen Zeitsprung nach vorne. Denn kurz vor der letzten Jahrtausendwende wurde die vorhandene Angebotswelt gespiegelt: Waren kann man seitdem nicht nur in der physischen, sondern auch in der digitalen Welt erwerben. 1994 wurde der erste öffentliche, zugleich verschlüsselte Kauf über das Internet dokumentiert. Ein Kunde in
Philadelphia kaufte auf der Website eines Freundes die CD „Ten Summoner’s Tales“ von Sting. 12,48 Dollar plus Versand zahlte er mit Kreditkarte. Wenige Monate später gingen eBay und Amazon an den Start. Online-Shopping war geboren.

Aktuell steht die nächste Revolution ins Haus: Wie KI unser Sales-Verhalten ändern wird, können wir 2025 gerade mal ahnen. Ein guter Zeitpunkt also, um gemeinsam mit drei ExpertInnen zu überlegen, wie sie aussehen könnte: die Zukunft des Verkaufens.

© gemeinfrei

1. Christoph Haudek: Verkauf ist immer und überall

Verkauf. Dieser Begriff faszinierte Berater Christoph Haudek schon immer: „Wo beginnt eigentlich dieser Prozess – und wo hört er auf? ‚Verkauf‘ reicht weiter, als die meisten von uns glauben. In Anlehnung an Paul Watzlawick würde ich sagen: Man kann nicht nicht verkaufen.“ In seinen Beratungen definiert Haudek jeden Vorgang, bei dem jemand Wertschöpfung für jemand anderen erbringt, als „Verkauf“.

So lassen sich auch unternehmensinterne Prozesse optimieren: Wenn ein Team einem anderen zuarbeitet, sieht Haudek die erbrachte Leistung als Ware. Damit Abläufe langfristig funktionieren, ist es wichtig, diese zu honorieren – sei es durch Wertschätzung, Zeit oder Geld: „Ein Team tut etwas für ein anderes. Alle sind produktiv. Jedes Team wird faktorisiert“, erklärt Haudek den Zusammenhang und schlägt in Beratungen sogar schriftliche Verträge vor, die diesen Ablauf definieren. Der Vorteil: Abläufe werden flüssiger und passen sich, wenn nötig, an einen dynamischen Markt an.

© privat

Von der Vergangenheit lernen

Der Berater erklärt, dass moderne Unternehmen, die es gewohnt sind, Planung, Produktion und Verkauf getrennt zu denken, auch von der Vergangenheit lernen können. Vor der industriellen Revolution sei ein Handwerker, wie etwa ein Schuster, zugleich in den Verkauf seiner Waren eingebunden gewesen, hätte direkt Verantwortung übernommen und Feedback erhalten. Diese Skills dürfe man den Produzierenden auch heute zutrauen. „Produktion und Verkauf lassen sich vielleicht nicht direkt verbinden. Aber: Es kann sinnvoll sein, jemanden aus dem einen Bereich phasenweise in den anderen zu holen.“ Regelmäßige Meetings oder Einladungen seien geeignet, um diese Bereiche enger miteinander zu verzahnen. Wünschenswert sei ein unternehmensinterner Austausch bzw. Handel mit Wissen.

Doch zurück zum Stichwort „verkaufen“: Ist dieser Vorgang heute schwieriger, als er für den Handwerker von damals war? „Wir haben eine hohe Dichte an Anbietern und Akteuren. Und alles, was dicht und eng ist, erzeugt Wärme, Reibung, Dynamik. Auch der weltweite Markt ist irgendwann gesättigt.“

Wo aber Sättigung herrscht, erleben wir eine hohe Verdrängung, sagt Christoph Haudek. Ständig drängen neue Ideen auf den Markt. Doch welche sind sinnvoll? Soll ein Friseur etwa auch den Service der Autowäsche anbieten, nur weil ein Kunde danach fragt? Nicht unbedingt, meint Haudek: „Unternehmen, die nur die Wünsche der Kundinnen und Kunden aufgreifen, laufen immer hinterher. Echte Marktführer schaffen kreativ neue Wünsche, statt auf bestehende zu reagieren.“

Lieber nachhaltige Lösungen verkaufen

Nach diesem Motto gestaltet auch er sein Angebot als Berater. Immer wieder kommen Firmen mit dem Wunsch nach Motivationstrainings auf ihn zu. Doch wozu zum Teambuilding im Hochseilgarten, wenn der Fehler in starren Strukturen liegt? In solchen Fällen biete er andere Leistungen an, die nachhaltig Wirkung zeigen: „Erst wenn sich Struktur und Rahmenbedingungen ändern, kann man das Problem der Mitarbeitermotivation lösen.“

Für seine Beratungen holt sich Haudek Inspiration bei Niklas Luhmann und anderen Konstruktivisten wie Heinz von Foerster: „Von diesen Systemtheoretikern kann man lernen, dass, wer etwas ändern will, zuallererst am System arbeiten muss. Ich weiß aus Erfahrung, dass diese Botschaft hilft – und kann sie deshalb mit Überzeugung verkaufen.“

2. Ilona Pezenka: Empathy sells

Was macht ein gutes Verkaufsgespräch aus? Wie blickt, spricht, agiert jemand, der wirklich überzeugt? Diesen Fragen geht Ilona Pezenka in ihrer Forschung an der FHWien der WKW nach: Dabei hat sie untersucht, wie Emotionen in Verkaufsgesprächen wirken – und wie KI hilft, sie sichtbar zu machen.

Im Web Analytics Lab der FHWien der WKW bauten sie und ihr Team ein Set-up, das es ermöglicht, Emotionen aus der Mimik der Studierenden auszulesen: „Wir haben damit die Bewegung unterschiedlicher Gesichtspunkte gemessen. Wer lächelt, zieht die Mundwinkel nach oben, die Augenwinkel nach unten – wobei unser Algorithmus nicht zwischen einem falschen und einem richtigen Lächeln unterscheidet. Man kann den Algorithmus also theoretisch auch mit einem professionellen Lächeln überlisten.“

Körpersprache im Verkaufsgespräch

Im Modellversuch wurden die Studierenden gebeten, sich ein Produkt mit einem Wert von mindestens 150 Euro auszudenken, um es anschließend in einem Gespräch mit anderen KursteilnehmerInnen zu verkaufen. Dabei wurde ihre Körpersprache aufgezeichnet und ausgewertet. „Mimik lässt sich schwer kontrollieren“, erklärt Ilona Pezenka die Versuchsanordnung, bei der die TeilnehmerInnen die Kamera bald vergaßen und wie in einem echten Verkaufsgespräch agierten.

Via Fragebogen wurde dann noch erhoben, wie es den KäuferInnen und den VerkäuferInnen in der Situation jeweils ergangen war. Waren sie zufrieden mit dem Verkaufsergebnis, mit dem Kaufpreis, mit dem „Produkt“? Dabei wurde auch ein Empathie-Wert ermittelt: Wie empathisch hatte die verkaufende Person agiert? Hatte er oder sie sich wirklich für die Bedürfnisse des Gegenübers interessiert? „Wir haben den Verkaufserfolg daran gemessen, um wie viel das Produkt verkauft wurde. Und daran, wie zufrieden der Käufer oder die Käuferin anschließend mit dem Einkauf war.“

Empathie ist Trumpf

Fazit: Studierende mit einem höheren Empathie-Wert hatten mehr Erfolg. Erstaunlich auch die Erkenntnis des Forschungsteams, dass Frauen klar vorne lagen: „Frauen haben in ihrem Gesichtsausdruck insgesamt mehr positive Emotionen widergespiegelt.“

Was aber können wir aus dieser Erkenntnis lernen? „In Verkaufstrainings sollte man gezielt auf die emotionalen Aspekte achten. Männer können sich durchaus etwas von den Frauen abschauen“, sagt Pezenka.

Übrigens wirke sich nicht nur das Lächeln, sondern auch die ganze Körperhaltung auf den Verkaufserfolg aus: „Blinzeln ist ein wichtiger Indikator. Je öfter man blinzelt, desto unsicherer wirkt man. Genauso ist es mit dem Blickkontakt. Je besser ich Blickkontakt halte, desto sicherer wirke ich. Oder die Sprache der Hände und Arme: Gesten zeigen Offenheit, verschränkte Arme machen einen geschlossenen Eindruck. Studien deuten darauf hin, dass die nonverbale Kommunikation viel wichtiger ist als die verbale Schulungen können hier wirklich helfen, souverän aufzutreten.“

Pezenka erzählt, dass sie sich mittlerweile auch bei privaten Einkäufen dabei ertappt, die Verkaufssituation zu analysieren. „Als Kundin denke ich mir oft, wie untrainiert das Verkaufspersonal wirkt. Dabei beobachte ich beide Extreme. Der Verkäufer, der mir so dringend etwas verkaufen will, dass seine Aufdringlichkeit mich unter Druck setzt. Oder denjenigen, den ich aktiv suchen und ansprechen muss. Gut wäre ein Mittelweg. Und allgemein bin ich der Überzeugung: Mehr Freundlichkeit täte jedem Verkaufsgespräch gut.“

© gemeinfrei

Professional Smile

Was ist das?

Ein professionelles Lächeln ist ein gezielt eingesetztes Lächeln im beruflichen Kontext.

Was sagt es aus?

Es signalisiert: Ich bin freundlich, kompetent und serviceorientiert – ohne dabei zu viel von der eigenen Gefühlswelt preiszugeben. Es schafft eine positive Atmosphäre und wahrt dennoch
emotionale Distanz.

Worin liegt der Unterschied zu echtem Lächeln?

Im Gegensatz zum sogenannten Duchenne-Lächeln (benannt nach dem französischen Neurologen Guillaume Duchenne), das durch echte Freude entsteht (inkl. Augenfältchen!), ist das „professional smile“ bewusst gesteuert. Es zählt zu den sozialen Job-Werkzeugen – und kann trotzdem herzlich wirken.

Brand Safety

Werbung erscheint in einem
Umfeld, das frei von problematischen
Inhalten ist.

Brand Suitability

Werbung wird in einem zum
Markenimage passenden
Umfeld ausgespielt.

3. Parisa Hamidi-Grübl: Kundenbindung mit Haltung

„Wir trennen Werbung und Redaktion. Das ist eine klare Position hier im Haus, und wer mich kennt, weiß, darüber lass’ ich nicht mit mir reden“, sagt Parisa Hamidi-Grübl nicht ohne Stolz. Dabei gesteht die Leiterin der Abteilung Sales, die unter anderem die Werbevermarktung der gedruckten und der digitalen Ausgabe von „Der Standard“ verantwortet, dass sie leichter verkaufen könnte, wäre die Trennung weniger streng. Aber würde ihr das gefallen? Nein.

Schließlich ist die studierte Publizistin froh, bei einem Medium zu arbeiten, das bestimmte Werte verkörpert. Und diese Haltung wird wiederum von KundInnen geschätzt, die im „Standard“ werben: „Das Thema Brand Safety und Brand Suitability hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Das Bedürfnis nach vertrauenswürdigen, glaubwürdigen Werbeumfeldern hat zugenommen. Viele Leserinnen und Leser tun sich schwer zu unterscheiden: Was ist echt und was nicht? Und gegenüber dem ,Standard‘ gibt es ein Grundvertrauen.“

Nachhaltiges Vertrauen

Das Werbeumfeld ist das eine. Und dann ist da natürlich noch die Pflege der Kundenbeziehungen. Drei von vier Anzeigenkunden sind Langzeitkunden, die regelmäßig im „Standard“ werben. Die Ansprechpersonen der Unternehmen kennt Hamidi- Grübl persönlich: „Natürlich ist es unsere Aufgabe, Werbung zu verkaufen. Wir haben Umsatzziele, die wir erreichen wollen, ganz klar. Aber: Uns ist der persönliche Kontakt wichtig, die Vertrauensbasis. Wenn ich Kundinnen oder Kunden treffe, sollen sie wissen, ich bin jetzt nicht bei ihnen, damit sie schnell eine Kampagne buchen, und spaziere glücklich raus. Sondern: Es geht mir darum, nachhaltige, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Darum sprechen wir über gemeinsame Werte und Kampagnenziele und darüber, wie wir ihre Bedürfnisse am besten erfüllen.“

© Heidi Seywald

Neue Produkte entwickeln

Zuhören, sagt sie, sei ein wichtiger Teil ihres Jobs. So sei etwa eine innovative Sonderwerbeform für die Bio-Marke „Ja! Natürlich“ entstanden. „Der Kunde hat uns gesagt, sie brauchen ein neues Sujet rund um das Thema Klimapaket. Etwas, was heraussticht. Und so haben wir im Print die neue Werbeform „Splitcover“ erfunden. Das ist eine Verpackung rund um das Zeitungscover, die man aufklappen kann – wie das Klimapaket. In solchen Fällen schauen wir nicht auf die Preisliste und suchen ein fertiges Produkt raus. Sondern wir überlegen: Was ist die Botschaft? Wie können wir damit möglichst viele Menschen erreichen?“

Und auch online kommen immer wieder neue Produkte ins Angebot, wie vor rund zehn Jahren das Full-Site-Branding. Dazu wird die gesamte Website im Sinne des Kunden mutiert, eingefärbt oder als animiertes Spielfeld gestaltet. Als die gewohnte derstandard.at-Oberfläche erstmals anders aussah, gab es Beschwerden: „Am Anfang haben sich viele Leserinnen und Leser gefragt, warum ihr Mauszeiger jetzt eine Kreditkarte verfolgt oder ein Würstel“, erinnert sich Hamidi-Grübl und lacht. Seit einigen Jahren gibt es einen eigenen Button, der diese Effekte ausblendet. So hat sich die Anzahl der Beschwerden signifikant reduziert.

Wenn nun ein Produkt verkauft oder ein Neukunde gewonnen ist, wie wird der Erfolg gefeiert? „Bei uns im Team steht ein klassischer Buzzer, wie ihn Gameshows verwenden. Wenn eine tolle Nachricht reinkommt, buzzern wir erst mal.“

Verkaufen ohne Ellenbogen

Zu Beginn ihrer Karriere habe ihr ein Fachkollege geraten, was auch in vielen Lehrbüchern steht: „Man braucht im Sales-Team Ellenbogen – jeder kämpft für sich selbst.“ Mittlerweile, wo sie verschiedene Funktionen durchlaufen hat und die Abteilung leitet, weiß Parisa Hamidi-Grübl, dass ihre damalige Antwort bis heute für sie stimmt: „Das ist nicht meine Philosophie.“ Es geht auch ohne internen Wettbewerb und Leistungsdruck. Sie glaubt vielmehr, dass ein Team besser verkauft, „wenn es die Köpfe zusammensteckt und Synergien schafft“. Auf die Art freuen sich nämlich alle, wenn der Buzzer einen neuen Erfolg vermeldet. Denn im Anschluss gehen alle gemeinsam feiern.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen?

Manchmal steht das Verkaufen im Konflikt mit der Moral. Drei Beispiele.

Verkaufen ist eine Win-win-Situation – wenn alle Beteiligten mit dem Handel zufrieden sind. Doch es gibt moralische Grenzen, die jede Gesellschaft für sich selbst definiert.

Dürfen Geschäfte sonntags öffnen?

In vielen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Finnland ist das normal. Im katholisch geprägten Österreich bleiben die Rollbalken unten – bisher jedenfalls.

Darf man Menschen verkaufen?

Natürlich nicht – sagen wir heute. Erst 2020 stürzte in Bristol eine wütende Menge die Statue eines Sklavenhändlers vom Sockel. Und auch dieser Tage warnt Amnesty International: In Kambodscha werden Menschen in Scam-Compounds versklavt, in Saudi-Arabien Haushaltshilfen ausgebeutet.

Darf man mit Daten handeln?

Schließlich geben viele NutzerInnen sie scheinbar freiwillig her. Doch verstehen sie wirklich, was sie „verkaufen“? In der EU sind die Regelungen zum Konsumentenschutz besonders streng. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) definiert Daten nicht als Ware, sondern als schützenswertes Gut.

Der plüschigste Verkaufs-Hit des Jahres

Labubus, die Plüschfiguren mit Hasenohren und frechem Grinsen aus der Serie „The Monsters“, erleben weltweit einen Mega-Verkaufsboom. 2025 verdoppelte der chinesische Spielzeughersteller Pop Mart den Vorjahresumsatz auf rund 1,8 Milliarden Dollar. Laut „Financial Times“ stiegen Labubu-Verkäufe um über 700 %, eine bemerkenswerte Gewinnsteigerung für ein Produkt.

Verkaufstrick

Labubu-Puppen werden in verschiedenen Größen und Farben über die Website von Pop Mart sowie über ein globales Netzwerk von 530 Stores und 2.472 „Roboshops“ (Verkaufsautomaten) verkauft. Viele befinden sich dabei in sogenannten Blind Boxes, sodass die Zielgruppe der GenZ und Millennials erst beim Öffnen sieht, welches Modell sie gekauft hat. Das Ergebnis: kollektives Sammelfieber. Echte Fans stehen beim Release neuer Modelle stundenlang Schlange.

Quelle: Financial Times, Mai 2025